Blog-Beitrag XXI (16.11.20)

Foto: Jakob Wiedekind

Die Wahlergebnisse und ihre Implikationen für die transatlantischen Beziehungen

von Prof. Dr. Christiane Lemke und Jakob Wiedekind, M.A.: (Lesezeit: ca. 13 Minuten)

Die USA haben Joe Biden zum 46. Präsidenten der USA gewählt. Am 20. Januar 2021 wird er das Weiße Haus zusammen mit Kamala Harris als Vizepräsidentin übernehmen und die kontroverse Präsidentschaft von Donald Trump beenden. Bis das Ergebnis der Wahl feststand, hat es aber in diesem Wahljahr länger gedauert, als man es von vorherigen Wahlen gewohnt war. Dass mehr Geduld erforderlich war, hing insbesondere damit zusammen, dass das Rennen in vielen umkämpften Bundesstaaten besonders eng war und dass den Briefwahlunterlagen eine hervorgehobene Bedeutung zukam. Es war bekannt, dass die Corona-Pandemie den Wahlprozess in den USA verändern würde und dass entscheidende Bundesstaaten wie etwa Pennsylvania Fristen für die Einreichung von Briefwahlunterlagen verlängerten, damit auch unter erschwerten Bedingungen die Teilnahme an den Wahlen gewährleistet werden konnte. So wurden in Pennsylvania zum Beispiel auch bis zu drei Tage nach der Wahl eingehende Briefwahlunterlagen akzeptiert, solange der Poststempel vom 3. November stammte. In diesem Blog-Beitrag wollen wir eine erste Analyse der Wahlergebnisse vorlegen und auf die Implikationen von Bidens Sieg für die transatlantischen Beziehungen schauen. Zunächst ist es mit Blick auf eine nervenaufreibende Wahlnacht für beide Lager und der vergleichsweise späten Feststellung des Siegers wichtig zu erklären, warum wir in diesem besonderen Wahljahr länger auf Klarheit warten mussten.

Anfang Oktober deutete eine Umfrage des PEW Research Centers unter etwa 11.000 registrierten Wählern/innen an, dass Bidens Wählerschaft verstärkt auf die Briefwahl setzen würde, während Trumps Unterstützer/innen eher die Wahlurne am Wahltag bevorzugten. Die Diskrepanz war beträchtlich. In Bidens Lager gaben 51% der Befragten an, per Brief wählen zu wollen. Von den Befragten, die anzeigten eher Trump wählen zu wollen, planten nur 25% per Post zu wählen. Es war also zu erwarten, dass sich der Einfluss der Briefwahlunterlagen zeitverzögert zu erkennen geben würde, da sie entweder später eintrafen oder schlicht im üblichen Zählprozess erst nach den Wahlscheinen, die am 3. November direkt in die Wahlurne gegeben wurden, ausgezählt wurden. Im Bundesstaat Georgia zeigte sich der vorhergesagte Unterschied bei den präferierten Abstimmungsmodi besonders deutlich: Etwa 850.000 der insgesamt knapp 2,47 Millionen Stimmen für Joe Biden gingen per Brief ein, während von den insgesamt etwa 2,46 Millionen Stimmen für Donald Trump nur circa 450.000 per Post eingesendet wurden. 

Mit Blick auf Trumps frühen Vorsprung in vielen Bundesstaaten nachdem die ersten Wahllokale am 3. November geschlossen hatten ist ein weiterer Faktor mitzudenken, der in der Politikwissenschaft als geografische Polarisierung des Wahlverhaltens bekannt ist. Im Wesentlichen wird damit der Zusammenhang zwischen Bevölkerungsdichte und Parteipräferenz erfasst. So zeichnen die Präsidentschaftswahlen seit 2000 zunehmend ein Bild von Dominanz der Demokratischen Partei in urbanen Räumen, während die Republikanische Partei in ländlicheren und weniger dicht besiedelten Regionen stark ist. In Pennsylvania – um bei dem einleitenden Beispiel zu bleiben – zeigt sich dieser Zusammenhang auf der Wahlkreisebene sehr deutlich. Im Wahlkreis der Metropole Philadelphia gewann Joe Biden mit einem Vorsprung von über 60% der abgegebenen Stimmen. Verlässt man die Großstadt westwärts in Richtung Franklin County nimmt Trumps Stimmenanteil mit sinkender Bevölkerungsdichte zu: Chester County ca. 40%, Lancester 57%, York County 61%, Adams County 66%, Franklin County 71%. Dieser Zusammenhang ist mit Blick auf alle Bundesstaaten nicht perfekt, aber dass Joe Biden von den 10 größten Städten in den USA neun klar für sich entscheiden konnte, unterstreicht das Argument nachdrücklich. Mit Blick auf die Verzögerungen im Wahljahr 2020 ist diese Dynamik ebenfalls relevant. Während die Auszählungen in der Wahlnacht liefen, zeigte sich, dass es weniger dicht besiedelten Wahlkreisen, die eher republikanisch dominiert sind, schneller gelang die abgegebenen Stimmen zu zählen, während Demokratisch geprägte urbane Zentren länger auf die Ergebnisse der Briefwahlen warten mussten und schlicht erheblich mehr Stimmen zu zählen hatten. So ist es zu erklären, dass es in der Wahlnacht und auch noch am 4. November nach einem Vorteil für Donald Trump aussah. Jener Vorteil begann jedoch mit dem Ende der zeitverzögerten Auszählung in demokratisch dominierten urbanen Zentren zu schmelzen, bis Biden schließlich Trump in wichtigen Bundesstaaten wie Wisconsin, Michigan, Pennsylvania, Nevada, Arizona und schließlich sogar in Georgia überholte. In Georgia ist der Vorsprung jedoch so gering, dass geltendem Wahlgesetz in dem Bundesstaat folgend eine erneute händische Auszählung stattfindet. Da jedoch nicht mit einer Änderung der Ergebnisse zu rechnen ist, wird Georgia bereits Biden gutgeschrieben. 

Joe Biden kommt im Ergebnis auf 306 Stimmen der 538 Wahlmännern/-frauen und hat damit den für den Sieg erforderlichen Schwellenwert von 270 Stimmen deutlich überschritten. Insgesamt gewann Biden in 25 Staaten und es stimmten rund 78 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner für ihn, d. h.  57 Prozent der Wahlbevölkerung. Donald Trump erhielt 232 Wahlleutestimmen; im Ergebnis liegt er auch in den Direktstimmen mehr als 5,3 Millionen Stimmen hinter Biden. Bemerkenswert ist dabei, dass es Joe Biden gelang, fünf Bundesstaaten für sich zu gewinnen, die vorher an Trump gegangen waren, darunter Arizona, Georgia, Michigan, Pennsylvania, Wisconsin.

Darstellung 1: Ergebnis der US-Wahl 2020

Quelle: New York Times.

Am 14. Dezember geben die Wahlmänner und Wahlfrauen im electoral college entlang der Ergebnisse in ihren Bundesstaaten ihre Stimmen ab und werden Joe Biden zum nächsten Präsidenten der USA wählen. In der amerikanischen Wählerschaft zeichnen sich eine Reihe von interessanten Entwicklungen ab, die Bidens Sieg möglich machten. 

Basierend auf sogenannten „Exit Polls“ lassen sich Bewegungen in der amerikanischen Wählerschaft im Vergleich zur Präsidentschaftswahl 2016 nachvollziehen. Exit Polls sind Umfragen, die umittelbar im Anschluss an den Wahlgang unter tatsächlichen Wählern/innen meist direkt vor der Wahllokalität oder per Telefon (um auch Briefwähler/innen einzubinden) durchgeführt werden. Darstellung 2 fasst die Ergebnisse aus diesen Umfragen aufgeschlüsselt nach zentralen Wählergruppen zusammen und vergleicht die beiden Präsidentschaftskandidaten. Über den jeweiligen Balken wird zudem die Veränderung im Vergleich zu den Exit Polls aus 2016 angegeben. Auf der Seite der Demokratischen Partei hinkt der Vergleich ein wenig, da Joe Biden 2016 als amtierender Vizepräsident unter Obama offensichtlich nicht antrat und Hillary Clinton um das Weiße Haus kämpfte. Der Vergleich erlaubt aber dennoch Erkenntnisse über die Wählerbasis der demokratischen Partei und zeigt, wo Joe Biden im Vergleich zu Hillary Clinton besser beziehungsweise schlechter abschnitt. Mit Blick auf den Vergleich ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Wahlbeteiligung 2020 erheblich im Vergleich zu 2016 gestiegen ist. Die Auswertung stellt jedoch die Vergleichbarkeit durch die Ergebnisdarstellung in prozentualen Werten sicher. Aus den Klammern hinter den jeweiligen Wählergruppenbeschreibungen geht ihr jeweiliger prozentualer Anteil an der gesamten Wählerschaft hervor, während die gestrichelten Linien die Oberkategorien Geschlecht, Ethnie und Alter voneinander trennen.

Darstellung 2: Exit Polls nach Wählergruppen 2020

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Daten des Edison Research National Election Pool, etwa 16.000 Befragte direkt nach dem Wahlgang. Übersicht: New York Times.

Aus den Umfragen im Anschluss an die Wahlen geht hervor, dass für Joe Biden der Zuwachs in der Unterstützung in der jüngeren Wählergruppe und bei den weißen Wählern/innen sicherlich wahlentscheidend war. Bidens Erfolg bei jüngeren Wählern/innen, von denen in diesem Jahr viele zum ersten Mal wählen durften, deutet auf eine starke Anti-Trump Reaktion in der jungen Generation hin. Unter den afro-amerikanischen Wählern/innen konnte Biden im Vergleich zu Clintons Kampagne 2016 dagegen nicht zulegen, während Trump seinen Wert deutlich verbessern konnte. Allerdings sticht ihre höhere Wahlbeteiligung in einigen Schlüsselstaaten hervor. Dies gilt insbesonders für Georgia, wo es der bekannten Bürgerrechtsaktivistin Stacey Abrams mit ihrer Wahlregistrierungskampagne gelang, seit 2018 rund 800.000 neue Wähler und Wählerinnen zu registrieren, darunter viele Afroamerikaner/innen. Erstmals seit 1992 konnten die Demokraten so diesen Bundesstaat für sich gewinnen.

Der Gender Gap war bei den Wahlen ebenfalls deutlich ausgeprägt und vergleichbar mit den Ergebnissen von 2016 (vgl. Blog XIX). Deutlich mehr als die Hälfte der Frauen scheinen für Joe Biden gestimmt zu haben, wohingegen der Wert bei den Männern zwar zulegte, aber nicht über 45% hinauskam. Die Umfrageergebnisse deutet darauf hin, dass Trump die Stimmen von 42% der Frauen bekam – deutlich höher lag seine Zustimmung dabei bei den weißen Frauen, während Afroamerikannerinnen nur zu einem geringen Prozentsatz für ihn stimmten.   

Dass Trump trotz oftmals minderheiten- und frauenfeindlicher Rhetorik bei weiblichen Wählerinnen und Amerikanern/innen, die einer ethnischen Minderheit angehören, im Vergleich zu 2016 sogar zulegen konnte und mit etwas mehr als 72 Millionen Stimmen insgesamt circa 9 Millionen Stimmen hinzugewinnen konnte, ist in der weiteren Analyse dieser Wahlen erklärungsbedürftig. Sicherlich ist dies Ausdruck der politischen Polarisierung in den USA, wenngleich seine strikt konservativen Positionen zum Beispiel bei Fragen der Abtreibung auch den Ausschlag für viele streng evangelikale Wähler/innen gegeben haben dürfte. Mit Blick auf Florida und die hispanische Wählerschaft manifestiert sich in der Auswertung zudem die bereits an anderer Stelle auf diesem Blog erwähnte interne Heterogenität der hispanischen Wählerschaft (vgl. Blog-Beitrag XIII). Generell ist diese Wählergruppe eher für sozialkonservative Positionen empfänglich; aber auch die mit Vehemenz geführte Wahlkampfrhetorik Trumps, die Demokraten als Sozialisten abzustempeln, verfängt bei den Einwanderern aus staatssozialistisch regierten Ländern, wie den Zuwanderern aus Kuba und Venezuela. Zusammenfassend deutet Darstellung 2 darauf hin, dass die Erträge einer besonders hohen Wahlbeteiligung nicht so stark zugunsten von Joe Biden und die Demokratische Partei wirkten, wie vor der Wahl von einigen Experten/innen antizipiert wurde. Auch die Republikaner konnten davon profitieren. Die Tatsache, dass die Republikanische Partei einige der Sitze im Repräsentantenhaus, die bei den Zwischenwahlen 2018 noch an die Demokraten verloren gingen, zurückgewinnen konnte, unterstützt diese Feststellung. Auch bei den Senatswahlen konnten die Republikaner besser abschneiden, als in den meisten Vorhersagen angenommen. Die endgültigen Ergebnisse werden zwar erst nach einer Stichwahl in Georgia im Januar feststehen, aber es könnte bei der republikanischen Mehrheit im US-Senat bleiben. Mit Blick auf die nächsten Zwischenwahlen 2022 sollte dies nicht unbeachtet bleiben. Doch was bedeutet der am 20. Januar 2021 bevorstehende Machtwechsel in Washington D.C. für die transatlantischen Beziehungen?  

Unter der Biden/Harris-Administration ist eine Rückkehr zum internationalen Engagement der USA sowie eine Erneuerung des Multilateralismus zu erwarten. Priorität hat nach ihrer Programmatik die Wiederherstellung der Erwartungsverläßlichkeit in internationalen Beziehungen. Die multilaterale Kooperation mit den transatlantischen Partnern wird sicher ein zentraler Eckpfeiler in Bidens Außenpolitik sein. So kündigte er beispielsweise bereits an, die USA in das Pariser Klimaabkommen zurückzuführen, um die Klimaschutzpolitik voranzubringen – ein wichtiges Politikfeld auch in den innenpolitischen Schwerpunktsetzungen. Mit Blick auf die NATO wird Joe Biden seinen Vorgängern folgen und ebenfalls eine ausgeglichenere Lastenverteilung einfordern – allerdings ohne auch nur mit dem Gedanken eines amerikanischen Austritts aus dem Verteidigungsbündnis zu spielen, wie es Trump während seiner Amtszeit tat. In der Wirtschafts- und Handelspolitik wird aber auch Joe Biden unter dem Stichwort „Build back better“ einen deutlichen Akzent auf den Vorrang der amerikanischen Wirtschaftsinteressen legen. Allerdings wird ein kooperativer und spürbar freundlicherer Austausch in die transatlantischen Beziehungen zurückkehren, sodass auch kontroverse Themen wie der Bau von Nord Stream 2 über diplomatische Kanäle und einen engen Austausch bearbeitet werden können. Zusammenfassend wird Biden die nächsten vier Jahre versuchen, das unter Trump verloren gegangene Vertrauen in den amerikanischen Partner zu revitalisieren, wenngleich anzunehmen ist, dass Bidens erstes Jahr im Amt stark von Innenpolitik und der Bekämpfung der Corona-Pandemie gekennzeichnet sein wird.