Blog-Beitrag XXIV (11.02.21)

Foto: Jakob Wiedekind

Amerikanische Politik nach dem Machtwechsel – Präsident Biden und seine ersten Entscheidungen im Amt

Die Amtseinführung von Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris am 20. Januar 2021 war der Startschuss für die neue Regierung und markiert in vielerlei Hinsicht einen Wendepunkt in der amerikanischen Politik. Bereits unmittelbar nachdem Präsident Biden seinen Amtsschwur leistete, brachte er 17 präsidentielle Verfügungen auf den Weg, die eine Vielzahl von unterschiedlichen Politikfeldern adressierte und die in den ersten Wochen seiner Amtszeit durch weitere Erlasse ergänzt wurden. Präsidentielle Verfügungen oder Erlasse („executive orders“) sind ein besonders beliebtes Instrument, schnell Änderungen herbeizuführen, da sie der Präsident ohne Zustimmung des Kongresses unterzeichnen kann und da sie sofortige Wirkung entfalten. Sie sind aber keine Gesetze, weshalb Executive Orders den Nachteil haben, dass sie leicht von einem Nachfolger revidiert oder von Gerichten angefochten werden können. Dieser rechtlich eher schwache Status erlaubte es Präsident Biden nun zahlreiche präsidentielle Verfügungen seines Vorgängers direkt im Anschluss an den Machtwechsel außer Kraft zu setzen, um so die eigene Politik in rasanter Geschwindigkeit voranzubringen. Deshalb können diese ersten Schritte von Präsident Biden auch als richtungsweisende Akzente seiner innen- und außenpolitischen Agenda verstanden werden. In diesem Blogbeitrag wollen wir uns den wichtigsten Entscheidungen zuwenden, um an ihnen den Richtungswechsel in Washington D.C. aufzuzeigen. Das Weiße Haus bietet auf seiner Website eine vollständige Übersicht aller Executive Orders an, die als Grundlage für die anschließenden Ausführungen dient.

Eine besonders prägnante Kehrtwende wird dabei in der Einwanderungspolitik deutlich. Biden stärkt dem DACA-Programm (Deferred Action for Childhood Arrivals) den Rücken, nachdem Trumps wiederholte Versuche es abzuschaffen zuletzt vor dem Obersten Gerichtshof scheiterten. Dieses Programm, das 2012 von Obama implementiert wurde, schützt Eingewanderte, die bei ihrer Einwanderung, meist mit ihren Eltern, minderjährig waren, vor einer Abschiebung und macht so den Weg frei, um zum Beispiel über ein Arbeitsvisum eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Darüber hinaus erwirkte Biden, dass bei der Volkszählung in den USA auch Menschen berücksichtigt werden, die keine amerikanische Staatsangehörigkeit besitzen – eine Maßnahme, die für die Verteilung von Bundesmitteln, für Infrastrukturprogramme und für Planungsangelegenheiten wichtig ist. Zusätzlich beendete eine weitere Executive Order das heftig umstrittene Einreiseverbot für Menschen aus zahlreichen prädominant muslimischen und afrikanischen Ländern, welches Trump während seiner Amtszeit eingeführt hatte. Schließlich hält Biden auch den Bau der kontroversen Grenzmauer zu Mexiko auf – ein Projekt, das den Demokraten aufgrund der zweifelhaften Wirksamkeit von Anbeginn ein Dorn im Auge war. Zusammengenommen zeigen diese Maßnahmen, dass die Biden-Harris-Administration eine Abkehr von der restriktiven Politik ihres Vorgängers anstrebt, wobei die Verabschiedung eines neuen Einwanderungsgesetzes noch aussteht.

In der Wirtschaftspolitik präsentierte Biden kurz nach dem Machtwechsel ein 1,9 Billionen USD umfassendes Konjunkturpaket, um die amerikanische Wirtschaft aus ihrer Notlage zu befreien, in die sie aufgrund der Corona-Pandemie hineingeraten ist. Die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage für die breite Mehrheit der Bevölkerung ist dabei ein erklärtes Ziel von Präsident Biden. Auch wenn sich hier gegen einige Maßnahmen bereits Widerstand aus der Republikanischen Partei formiert, deutet die Demokratische Mehrheit in beiden Kammern des US-Kongresses darauf hin, dass Biden sich mit diesem Plan durchsetzen kann. Darüber hinaus verfügte der neue Präsident eine Reihe von Anordnungen, die auf die pandemische und wirtschaftliche Notlage reagieren. So sollen zum Beispiel Zwangsräumungen von mietrückfälligen Mieter*innen ausgesetzt und Zinsen auf Bildungskredite pausiert werden. Dem progressiven Parteiflügel der Demokraten geht der zuletzt genannte Schritt allerdings nicht weit genug, weshalb aus diesen Reihen die Forderung kommt, dass den Studierenden bis zu 50.000 USD ihrer Kreditschuld erlassen werden sollten. Mit Blick auf die Anstrengungen zur Eindämmung der Pandemie machte Biden das Tragen einer Maske sowie Maßnahmen zum Social Distancing auf den Geländen aller Bundesbehörden zur Pflicht. Darüber hinaus setzte Biden Jeffrey Zients als offiziellen Koordinator der Corona-Maßnahmen ein und verfolgt in Zusammenarbeit mit Virologen wie Anthony Fauci eine integrative Strategie zur Beschleunigung der Impfanstrengungen in den USA.

Auch in der Klima- und Umweltpolitik setzte Biden bereits in den ersten Amtswochen wichtige Änderungen durch, um den Wechsel von fossilen auf erneuerbare Energien voranzutreiben und um Regulierungen von Emissionen durchzusetzen. Darüber hinaus hielt Biden den Bau der umstrittenen Keystone XL Pipeline aus Kanada auf und widerrief die Öl- und Gasbohrrechte für weitläufige Naturschutzgebiete in Alaska. Zusätzlich reaktivierte er eine Arbeitsgruppe, die sich mit den sozialen Kosten von CO2-Emissionen befasst, und implementierte eine Reihe von Umweltschutzmaßnahmen, die die Nachhaltigkeitsstandards für Regierungsbehörden verstärkt und die der EPA (Environmental Protection Agency) wieder auf die Beine helfen sollen, nachdem sie unter Trump erhebliche Budgetkürzungen hinnehmen musste.

Ein weiterer wichtiger Bereich in der innenpolitischen Dimension der Biden-Harris-Agenda konzertiert sich auf das Thema der Gleichstellung von ethnischen Minderheiten und von Menschen der LGBTQ+-Community. So setzt eine von Bidens frühen Executive Orders auf Susan Rice, die als Vorsitzende seines Domestic Policy Council bereits fester Bestandteil des Biden-Teams ist, um die erwähnte Gleichstellung in allen Bundesbehörden durchzusetzen und um bestehende Hürden auf dem Weg zu diesem Ziel zu identifizieren. Eine weitere präsidentielle Verfügung stärkt eine entscheidende Sektion des Civil Rights Acts von 1964, aus der hervorgeht, dass alle Organisationseinheiten der Bundesregierung niemanden aufgrund von sexueller Orientierung oder Gender-Identität diskriminieren dürfen. Abschließend reaktiviert Biden über eine entsprechende Verfügung eine Regelung, die es für alle Angestellten der föderalen Exekutive zur Pflicht macht, einen ethischen „code of conduct“ zu unterzeichnen, um ein erstes Zeichen auf dem Weg zu mehr Vertrauen in die Bundesregierung durch die Einhaltung demokratischer Normen zu setzen.

Im außenpolitischen Bereich lässt sich auf vielen Feldern gleichfalls eine deutliche Abkehr von der Politik Trumps feststellen. Der wohl bedeutsamste Richtungswechsel vollzieht sich in der Klimapolitik. Biden führt die USA zurück in das Pariser Klimaabkommen, aus dem die USA unter Trump ausgestiegen waren. Bidens Rückkehr in das Pariser Klimaabkommen steht zudem symbolisch für eine Aufwertung multilateraler Vertragswerke und internationaler Organisationen in der amerikanischen Außenpolitik. So reaktivierte die Biden-Harris-Administration beispielsweise die amerikanische Verbindung zur WHO (Weltgesundheitsorganisation; siehe Gastbeitrag 5) und sie kündigte die Rückkehr in den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen an. Darüber hinaus äußerte Biden, dass er für neue Verhandlungen bezüglich des Atomabkommens mit dem Iran bereit wäre. Insgesamt deuten die ersten Entscheidungen von Biden auf eine Rückkehr zum Multilateralismus hin, die sich insbesondere in der Stärkung der Diplomatie als außenpolitisches Instrument äußert. Eine gewisse Kontinuität ist dahingegen in der Chinapolitik zu erwarten. Biden gab wiederholt zu verstehen, dass er in China den größten Kontrahenten sieht. Dabei stehen die handelspolitischen Auseinandersetzungen im Vordergrund, aber auch Chinas zunehmend energisches Auftreten gegenüber Hongkong, Taiwan und im südchinesischen Meer sorgt für starke sicherheitspolitische Bedenken, die durch chinesische Verletzungen der Menschenrechte gegenüber der muslimischen Minderheit der Uiguren verstärkt werden. China wird als geopolitischer und systemischer Rivale gesehen und unter Biden bleiben die Vereinigten Staaten auf einem konfrontativen Kurs gegenüber dem Land.

Aus transatlantischer Perspektive ist festzustellen, dass Biden die Allianz mit den europäischen Verbündeten im Vergleich zu seinem Vorgänger klar aufwertet. Darauf deutete schon die Nominierung von Anthony Blinken zum Außenminister hin, der ein überzeugter Transatlantiker ist. Zudem erfolgte unter Biden im Anschluss an Verhandlungen mit Russland die Unterzeichnung des New Strategic Arms Reduction Treaty (START), was auch für die europäische Sicherheitspolitik von großer Relevanz ist. Mit Blick auf die NATO gilt es hervorzuheben, dass sich die USA mit Biden wieder als verlässlicher Partner positionieren. Die NATO lebt von der gegenseitigen Beistandsgarantie, die aus Artikel 5 des NATO-Vertrages hervorgeht. An diesem zentralen Pfeiler ließ Trump während seiner Amtszeit wiederholt einige Zweifel aufkommen, was das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Vereinigten Staaten in diesem sensiblen Politikbereich untergrub. Biden wird sich hier darum bemühen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Insbesondere bei der nuklearen Abschreckung sind amerikanische Sicherheitsgarantien für die EU von hervorgehobener Bedeutung, aber auch bei den konventionellen Verteidigungskapazitäten bleibt die EU mindestens mittelfristig auf die Vereinigten Staaten angewiesen. Voraussetzung für eine engere Partnerschaft ist jedoch auch für Biden, dass die europäischen Partner auf die USA insbesondere hinsichtlich der Lastenverteilung in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zugehen. Die Kritik von Vorgänger-Administrationen an der unzureichenden Beteiligung vieler europäischer Bündnispartner an den Verteidigungsausgaben wird auch unter Präsident Biden fortbestehen, wenngleich mit weitaus weniger konfrontativer Rhetorik. Insgesamt wird die Normalisierung im transatlantischen Dialog nicht völlig frei von Spannungen sein. Neben der erwähnten Lastenverteilung innerhalb der NATO ist mit Blick auf Deutschland an dieser Stelle vor allem die umstrittene Nordstream 2 Gas-Pipeline aus Russland zu nennen, die auch von der neuen Regierung in den USA deutlich kritisiert wird.

Bidens erste Amtshandlungen stechen in vielerlei Hinsicht in der innenpolitischen Dimension als klare Antithese zu Trumps Politik heraus und geben einen aufschlussreichen Vorgeschmack auf Bidens Schwerpunkte während seiner gerade erst begonnenen Amtszeit. Die Ausmaße seiner Handlungsspielräume werden sowohl von seiner Fähigkeit mit den Republikanern im Kongress zu verhandeln als auch von seinem Umgang mit gesellschaftspolitischen Spannungen in den USA abhängen. Die pandemische Notlage und tiefe gesellschaftliche Gräben sorgen dafür, dass der neue Präsident mindestens im ersten Jahr seiner vierjährigen Amtszeit seinen Fokus auf die Innenpolitik richten muss. In der Außenpolitik zeigen Bidens erste Schritte ebenfalls einen klaren Richtungswechsel im Vergleich zu seinem Vorgänger an, wenngleich sich auch einige Kontinuitäten andeuten. Außenpolitisch wird die Konfrontation mit China im Vordergrund stehen, wenngleich sich die Vereinigten Staaten unter Biden bewusst sind, dass sie die EU als Kraftverstärker in dieser Auseinandersetzung benötigen. Klar wird dabei zu diesem Zeitpunkt, dass die Biden-Harris-Administration mit größerer Professionalität und einer Aufwertung von Diplomatie in die kommenden vier Jahre gehen wird. Dies gilt auch für die sicherlich dringlichste Zukunftsfrage: der internationalen Klima- und Umweltpolitik. Hier scheint zwischen den USA und der EU wieder ein hohes Maß an Einigkeit vorzuliegen, sodass die Klimapolitik zu einem Motor für die Revitalisierung der transatlantischen Beziehungen werden kann.