Blog-Beitrag VIII (04.05.20)

Foto: Jakob Wiedekind

Hintergrundanalyse: Freund oder Feind? Wie die USA in zwei Lager zerfallen

von Prof. Dr. Christiane Lemke und Jakob Wiedekind, M.A.:

Die Polarisierung in den USA zwischen Demokraten und Republikanern hatte entscheidend zum Wahlerfolg von Donald Trump 2016 beigetragen. Die schüchterne Hoffnung, dass sich der Kandidat Trump dann als Präsident um Verständigung und Aussöhnung bemühen würde, hatte sich binnen kürzester Zeit jedoch zerschlagen. Vielmehr hat seine Präsidentschaft zu einer weiteren Vertiefung und Zuspitzung kontroverser Positionen geführt. Die Polarisierung ist ein strukturierendes Leitmotiv seiner Präsidentschaft geworden, welches nur zwei exklusive Kategorien kennt und die Einordnung jeweils über die Wahrnehmung des Anderen als Freund oder Feind entscheidet. Allerdings wäre es irreführend anzunehmen, dass diese gesellschaftliche Spaltung erst mit Präsident Trump begann. Er selbst hatte dies klar erkannt und politisch ausgenutzt. Kurz nach seiner Wahl sagte er im Januar 2017: “I didn’t come along and divide this country. This country was seriously divided before I got here.” 

Wenn wir die komplexe Thematik der Polarisierung in den USA analytisch durchleuchten und systematisch betrachten wollen, sind Trumps aktueller Wahlkampf und seine erste Amtszeit am besten als Symptom und Ursache zugleich zu begreifen. Dass die Spaltung der USA unter Trump seinen bisweilen traurigen Höhepunkt erreicht hat, lässt sich kaum bestreiten. Diese Hintergrundanalyse möchte aus zweierlei Perspektive beleuchten, wie sich die Entwicklung der Polarisierung im Zeitverlauf darstellt: Zuerst widmen wir uns dem Abstimmungsverhalten der Kongressabgeordneten bevor wir, zweitens, die ideologische Positionierung der amerikanischen Wählerschaft und ihrer Repräsentanten betrachten. 

An kaum einer anderen Stelle wurde die Polarisierung zwischen Demokraten und Republikanern deutlicher als in dem Amtsenthebungsverfahren von Präsident Trump. Das Abstimmungsverhalten der Repräsentanten im House of Representatives und der Senatoren im Senat zeigte eine bis auf sehr wenige Ausnahmen vollständige Sortierung entlang der Parteizugehörigkeit. Dieses Ergebnis ist bemerkenswert, da einige Republikaner im Vorfeld Zweifel am Verhalten des Präsidenten geäußert und die Möglichkeit ins Spiel gebracht hatten, weitere Anhörungen zur Aufklärung der Vorwürfe zuzulassen. Zugleich hatte das Weiße Haus versucht, demokratische Abgeordnete auf die Seite des Präsidenten zu ziehen. Am Ende überwog jedoch die Zuspitzung des Konflikts entlang der Parteilinien, obwohl es im amerikanischen System eigentlich keine Parteidisziplin bei Abstimmungen im parlamentarischen Sinn wie wir es in Deutschland kennen gibt. Tabelle 1 führt die Stimmenverteilung bei zentralen Abstimmungen im Rahmen des Amtsenthebungsverfahren auf und ordnet sie zusätzlich entlang der beiden Anklagepunkte: „Abuse of Power“ (Artikel I) und „Obstruction of Congress“ (Artikel II). Vorweg ist es wichtig zu wissen, dass die Demokraten mit 232 Sitzen aktuell (seit Januar 2019) die Mehrheit im House of Representatives haben, welches insgesamt 435 stimmberechtigte Abgeordnete umfasst. 196 Abgeordnete sind Republikaner, während wir hier die wenigen vakanten Sitze (6), die unabhängigen Abgeordneten (1) und nicht-stimmberechtigten Mitglieder (6) zum Zeitpunkt des Verfahrens nicht weiter berücksichtigen. Diese Mehrheitsverhältnisse übertragen sich entlang der House Rules auch auf die Besetzung von Ausschüssen wie dem „House Judiciary Committee“, welches eine entscheidende Rolle im Amtsenthebungsverfahren bei der Formulierung der „Articles of Impeachement“ hatte. Im Senat ist die Situation umgekehrt. Hier haben die Republikaner mit 53 von insgesamt 100 Senatoren eine knappe Mehrheit gegenüber den Demokraten (45). Die beiden unabhängigen Senatoren Angus King und Bernie Sanders werden in der folgenden Betrachtung nicht berücksichtigt. 

Tabelle 1: Abstimmungsverhalten der Kongressabgeordneten im Amtsenthebungsverfahren von Präsident Trump

Abstimmung

Anklagepunkt

 

Rep. Abgeordnete

Dem. Abgeordnete

Schlussabstimmung des „House Judiciary Committee“, um den Ausschussbericht an das House zum übergeben

 

Ja

Nein

Ja

Nein

Artikel I

 

17

23

Artikel II

 

17

23

Verabschiedung der beiden Anklagepunkte im House 

 

Ja

Nein

Ja

Nein

Artikel I

 

195

229

2

Artikel II

 

195

228

3

Finale Abstimmung im Senat (schuldig ja oder nein?)

 

Ja

Nein

Ja

Nein

Artikel I

 

1

 

52

45

Artikel II

 

 

53

45

Quelle: Eigene Darstellung mit den Daten der Website des Kongresses (siehe Links in der Tabelle, um zu den jeweiligen Abstimmungsergebnissen zu kommen). Stimmen, die als "Enthaltung" oder "Anwesend" gezählt wurden, werden hier nicht berücksichtigt. 

Das Abstimmungsverhalten folgte einer klaren Zuordnung entlang der Parteilinie, was so auch sehr deutlich in der Kommunikation nach außen getragen wurde. “Can anyone doubt that at least half of the country would view his removal as illegitimate – as nothing short of a coup d’état?” Mit diesen Worten begründete der republikanische Senator aus Florida, Marco Rubio, seine Entscheidung Ende Januar für den Freispruch von Präsident Trump zu stimmen. Komplett anders fiel die Bewertung des Anklageführers der Demokraten, Adam Schiff, aus, der in seiner Abschlussrede vor der finalen Abstimmung im Senat sagte: „You can’t trust this president to do the right thing. Not for one minute, not for one election, not for the sake of our country. You just can’t. He will not change and you know it.” 

Die Kernbotschaft von Tabelle 1 ist, dass die beiden politischen Lager im Kongress in sich weitgehend geschlossen sind. Die Präsentation von Fakten, die Befragung von Zeugen und die tagelangen Sitzungen brachten trotz dieser hochbrisanten Thematik keinerlei nennenswerte Bewegung. Die Parteilinien hielten allen Argumentationen der Gegenseite stand. Natürlich ist das Amtsenthebungsverfahren für diese Feststellung ein recht dankbare Datengrundlage, da die Hemmschwelle für ein Ausbrechen aus der Parteilinie auf beiden Seiten sehr hoch war. Die hier exemplarisch angeführte Kohäsionskraft der Parteizugehörigkeit lässt sich aber auch in einem größeren Datensatz erkennen. Der sogenannte „Party Unity Vote Score“ (PUV-Score) gibt die Häufigkeit der Abstimmungen mit Namensaufrufung (role call votes) an, bei denen mindestens 50% der demokratischen Abgeordneten gegen mindestens 50% der republikanischen Kollegen/innen stimmten. Das bedeutet, dass diese Maßzahl anzeigt, wie oft die Parteilinie die Abgeordneten im Kongress so klar voneinander trennt, dass eine einfache Mehrheit der demokratischen Repräsentanten gegen die einfache Mehrheit der republikanischen Kollegen stimmt. Aus deutscher Sicht, die klar getrennte Abstimmungsverhalten zwischen Regierungskoalition und Opposition gewohnt ist, mag der zugrunde gelegte Schwellenwert überraschend niedrig liegen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass es in der Abwesenheit von Parteidisziplin zumindest plausibel ist, dass sich je nach Abstimmung andere Mehrheiten bilden können, die keinem klaren Parteimuster folgen müssen. Abbildung 1 beschreibt die Entwicklung des PUV-Scores zwischen 1993 und 2018. Die Datentabelle wird ebenfalls angezeigt, um die Lesbarkeit der Darstellung zu erhöhen.

Abbildung 1: PUV-Score zwischen 1993 und 2018

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Daten von Congressional Quarterly Vote Studies. Ein Kongress beginnt stets am 03. Januar und endet zwei Jahre später. Um missverständliche Überschneidungen der Jahresangaben zu vermieden, versteht die Datentabelle die Kongresse am 31.12. des zweiten Jahres als beendet.

Abbildung 2 stellt das arithmetische Mittel der PUV-Scores für jeden Kongress in der betrachteten Zeitreihe dar, was die Datenlage etwas übersichtlicher macht.

Abbildung 2: Arithmetisches Mittel der PUV-Scores nach Kongressen

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der der Daten von Congressional Quarterly Vote Studies.

Abbildung 2 zeigt, dass die Frequenz der klar entlang der Parteilinien gespaltenen Abstimmungen insbesondere im House of Representatives merklich zunimmt. Eine ähnlich klar ansteigende Tendenz lässt sich im Senat aufgrund der stark fluktuierenden Werte zunächst nicht beobachten. Allerdings fällt auf, dass die letzten fünf Kongresse (111.-115. Kongress) deutlich höhere PUV-Scores aufweisen als die ersten fünf Kongresse (103.-107.) der Zeitreihe und zwar in beiden Kammern. Wenn wir die Werte der letzten Jahrzehnte stichprobenartig in Relation zu PUV-Scores aus den 1960er und 1970er Jahren setzen, dann fällt sofort auf, dass wir zuletzt Schwankungen auf vergleichsweise sehr hohem Niveau beobachten. 1968 lag der Wert im House bei 35.2% und im Senat bei 32%. Dass das mehr als nur ein Ausreißer ist zeigt die Tatsache, dass es zwischen 1956 und 1984 bis auf eine einzige Ausnahme (Senat 1961: 61%) keinen PUV-Score von über 60% gab. 

Über die PUV-Daten im betrachteten Zeitraum lässt sich auch aus der Perspektive der „Höhepunkte“ und ihrer Verteilung in der betrachteten Zeitreihe nachdenken, was recht aufschlussreich ist, wenn das Auftreten von stark gespaltenem Abstimmungsverhalten von Interesse ist. Im House zeigt Abbildung 1 sieben Werte, die sogar über 70% liegen – sechs davon nach 2005. Im Senat sehen wir zwei Werte, die deutlich über 70% liegen und vier Werte die denkbar knapp an diesem Schwellenwert scheitern – mit nur einer Ausnahme (1995: 68,8%) treten alle nach 2005 auf. Das, was in den Mittelwerten der Kongresse also ein wenig untergeht, wird durch diese Betrachtung in Kombination mit der vorherigen Tendenzbeschreibung deutlicher: Die Polarisierung im Abstimmungsverhalten spitzt sich im betrachteten Zeitraum merklich zu und nimmt insbesondere mit dem Wechsel von der Bush-Administration zur Obama-Administration an Fahrt auf. Das trägt unweigerlich dazu bei, dass die Parteilinie an Einfluss auf das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten gewinnt. Mit dem hier dargestellten Indikator lässt sich also eine zunehmende Polarisierung feststellen. Das ist insbesondere dann bedenklich, wenn man die Zusammensetzung der Regierung im Kontext des polarisierten Abstimmungsverhaltens mitdenkt. 

Wird eine oder werden beide Kammern des Kongresses von der Partei kontrolliert, die nicht den Präsidenten stellt, spricht man von einem divided government, während der Begriff unified government das Gegenteil beschreibt – also: die Partei, die beide Kammern im Kongress kontrolliert, stellt auch den Präsidenten. Betrachten wir nun die sieben Kongresse ab 2005 (109.-115.), dann stellen wir fest, dass die Regierung während vier Kongressen (110., 112., 113., 114.) die Konstellation des divided government abbildet. Divided government in Kombination mit klar entlang der Parteilinie polarisiertem Abstimmungsverhalten befördert Blockadehaltungen, mit denen insbesondere Präsident Obama während seiner zweiten Amtszeit (113. und 114. Kongress) zu kämpfen hatte. Eine extreme Zuspitzung jener Blockaden kann zu einem Stillstand führen, der im Englischen mit dem Begriff gridlock beschrieben wird. Zumeist führt diese Situation zu gegenseitigen Schuldzuweisungen, die die politischen Lager dann nach innen eint und den politischen Gegner verstärkt als Blockierer oder Gegner des gewünschten Fortschritts begreift. Im amerikanischen politischen System ist die Kooperation innerhalb des Kongresses und zwischen der Legislativen und der Exekutiven im checks-and-balances System besonders entscheidend. Nicht zuletzt deshalb stellt die Polarisierung eine fundamentale Herausforderung dar. Weiter unten wagen wir eine Spekulation über die Ursachen dieser Spaltung. 

Das Abstimmungsverhalten kann aber auch Aufschluss über die zugrunde liegende ideologische Polarisierung geben, die Abgeordnete in weitgehend geschlossene Echokammern drängt, womit wir bei der oben angesprochenen zweiten Perspektive sind. Interessant ist nämlich auch, wie die Abgeordneten und Senatoren auf der Skala politischer Einstellungen zu verorten sind. Die Politikwissenschaft arbeitet besonders gerne mit dem „DW-NOMINATE Score“, der von den Politikwissenschaftlern Keith T. Poole und Howard Rosenthal entwickelt wurde. Hierbei handelt es sich um eine multidimensionale, dynamische und gewichtete Skalierung von Entscheidungsdaten, um die ideologischen Positionen von Abgeordneten oder anderen politischen Akteuren und Institutionen über zwei Dimensionen abzubilden. Konkret bedeutet das, dass die Skalierung die Abstimmungsdaten zusammenfasst und entlang von zwei möglichen Dimensionen ordnet. Die erste Dimension (x-Achse) bildet das bekannte liberal-konservativ Spektrum ab, während die zweite Dimension (y-Achse) typischerweise zentrale, d. h. saliente Themen, wie etwa Bürgerrechte abbildet. Wir widmen uns der ersten Dimension, in der die Skalierung zwischen den Werten 1 und -1 gut an folgendem Beispiel zu verstehen ist: Ein Abgeordneter im House of Representatives ist besonders konservativ, wenn der DW-NOMINATE Score einen Wert nah an 1 anzeigt, während seine ideologische Position als liberal zu verstehen wäre, wenn der Wert sich -1 annähert. Dieser Logik folgend würde ein Abgeordneter als moderat eingeordnet werden, wenn sich der Wert an 0 annähert. Dass sich mit diesem Ansatz das Ausmaß ideologischer Polarisierung – also der ideologischen Distanz – zwischen Demokraten und Republikanern insbesondere auf dem liberal-konservativ Spektrum analysieren lässt, zeigten Poole und Rosenthal bereits 1984 in ihrem Artikel „The Polarization of American Politics“ (The Journal of Politics 46 (4): 1061-79.). 

Die kontinuierlich fortgeführte Erhebung und Auswertung dieser Daten sorgt für eine überaus reiche Datengrundlage und erlaubt einen Vergleich der ideologischen Positionen der beiden Parteien im Zeitverlauf. Abbildung 3 setzt die ausführliche Datengrundlage in eine aussagekräftig graphische Darstellung um und unterscheidet zwischen dem House of Representatives (links) und dem Senat (rechts). Die abgebildeten Werte sind Mittelwerte aller Abgeordneten der jeweiligen Partei für das entsprechende Jahr (DEM und REP). Der rote Graph beschreibt die Entwicklung der ideologischen Position der Republikaner (REP). In beiden Kammern zeigt sich, dass die Republikaner mit dem Ende der 60er Jahre immer konservativer wurden. In einem anderen Blog-Beitrag wiesen wir bereits darauf hin, dass diese Entwicklung zumindest zu Beginn auch als konservative Gegenreaktion auf die progressive 68er-Bewegung zu verstehen ist. Konträr dazu sehen wir in beiden Kammern, dass sich die blauen Graphen zusehends in Richtung des Wertes -0.5 bewegen. Diese Entwicklung zeigt an, dass Demokraten im House wie auch im Senat zunehmend liberal wurden, wenngleich diese Aussage nur mit Einschränkungen für demokratische Abgeordnete aus den Südstaaten (S. DEM.) gilt. Interessant ist auch die Homogenität der ideologischen Positionen innerhalb der Demokratischen Partei, wenn wir uns die Werte nach 2008 (Beginn der ersten Obama-Administration) im House anschauen. So einheitlich ist die demokratische Position im Senat vergleichsweise nicht. Hier ist die ideologische Distanz zwischen S.DEM und demokratischen Abgeordneten aus den nördlichen Bundesstaaten (N.DEM) durchaus signifikant. Die Unterteilung in Abgeordnete aus dem Norden und aus dem Süden basiert auf der Definition von Congressional Quarterly. Die Gruppe der Südstaaten umfasst dabei die 11 Bundesstaaten, die im amerikanischen Bürgerkrieg die konföderierten Staaten von Amerika ausmachten und schließt zusätzlich Oklahoma und Kentucky ein. 

Abbildung 3: Ideologische Polarisierung im Kongress

Quelle: Lewis, Jeffrey B., Keith Poole, Howard Rosenthal, Adam Boche, Aaron Rudkin, and Luke Sonnet (2020). Voteview: Congressional Roll-Call Votes Database. https://voteview.com/.

Die Kernbotschaft von Abbildung 3 ist, dass die ideologische Schere zwischen den Demokraten und den Republikanern weiter aufgeht. Die ideologische Distanz ist klar erkennbar und entfaltet eine gewisse sich selbst verstärkende Dynamik. Je weiter die ideologischen Positionen voneinander entfernt sind, desto weiter wird der Weg für Kooperation und desto leichter fällt die gegenseitige Verteufelung. Was wir also als Spitze der Polarisierung während der Trump-Administration wahrnehmen, ist tatsächlich, wie eingangs erwähnt, die Verschärfung eines längeren Trends. 

Diese Entwicklung ist auch eindeutig in der ideologischen Orientierung der Wählerschaft erkennbar. Natürlich muss an dieser Stelle auch von starken Wechselwirkungen zwischen Wählerschaft und Gewählten ausgegangen werden, die hier aber nicht weiter beleuchtet werden können. Das PEW Research Center bietet eine sehr eingängige Aufbereitung ihrer Umfragen an, die im Wesentlich durch eine Reihe von politischen Fragen die ideologische Positionierung der Befragten abbildet, die sich selbst als politisch engagiert beschreiben würden. Sich auf diese Gruppe zu fokussieren hat den Vorteil, dass zumindest mit recht großer Sicherheit davon auszugehen ist, dass die Befragten tatsächlich regelmäßig an den Wahlen teilnehmen und somit keine Nichtwähler das Abbild der Wählerschaft verfälschen. Abbildung 4 zeigt einen Vergleich zwischen 1994 und 2017 und bildet neben der Verteilung auch den Mittelwert für die ideologische Position der Wähler/innen ab, die sich entweder als Demokrat oder als Republikaner identifizieren.

Abbildung 4: Die ideologische Polarisierung der Wählerschaft

Es lässt sich anhand von Abbildung 4 eindeutig erkennen, dass die ideologische Distanz im Vergleich stark angewachsen ist und die Wählerschaft entlang kohärenter Parteiideologie gespalten ist. Die Mittelwerte haben sich merklich voneinander entfernt und erinnern stark an die im Kontext von Abbildung 3 angesprochene Distanz zwischen den sehr konservativen Republikanern und den eher liberalen Demokraten. Der Bereich, der in der Darstellung als „Mixed“ betitelt ist, schwindet und steht exemplarisch dafür, dass Republikaner und Demokraten zunehmend unterschiedliche ideologische Sprachen sprechen, die zu kaum vereinbaren politischen Positionen führen. Das bedeutet auch, dass Wechsel zwischen den politischen Lagern schwierig bis kaum vorstellbar sind. Denken wir nun an eine Präsidentschaftswahl, in der republikanische Wähler vielleicht unzufrieden mit einem republikanischen Präsidenten sind. Die Polarisierung erzeugt im Zweifel eine zu große Hürde, um die Unzufriedenheit in einem Kreuz für den demokratischen Gegenkandidaten zum Ausdruck zu bringen, womit die Annahme, dass Parteitreue zunehmend alle anderen Wahlmotive überlagert durchaus plausibel erscheint. 

Die hier kurz vorgestellten Statistiken und Indizes sind nur eine erste Annäherung an eine hoch komplexe Thematik. Sie zeichnen jedoch recht eingängig nach, wie die USA in zwei Lager zerfällt, die sich zusehends ideologisch und auch praktisch (siehe Abstimmungsverhalten) voneinander entfernen. Kritisch anzumerken ist noch, dass die Kategorie „liberal“ natürlich die interne Heterogenität der demokratischen Partei und ihrer Wählerschaft hier stark vereinfacht. Der letzte Blog-Beitrag machte deutlich, dass der demokratischen Partei der Spagat zwischen progressiven und moderaten sowie wirtschaftsliberalen Strömungen gelingen muss, wohingegen die stark konservative Position der Republikaner einheitlicher ist (siehe dazu die erste Hintergrundanalyse zur republikanischen Partei auf diesem Blog). Zu guter Letzt sei auch angemerkt, dass die starke Polarisierung nicht mit dem Ende der parteiübergreifenden Zusammenarbeit gleichzusetzen ist. Mit Blick auf die Außenpolitik sei hier zum Beispiel das entschlossene und parteiübergreifende Handeln des Kongresses bei der Verabschiedung des „Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act“ 2017 genannt, bei dem es um die Verschärfung bestehender Sanktionen gegen Nordkorea, Iran und Russland ging. Mit 419 Stimmen im House und 98 Stimmen im Senat fand sich eine überwältigende Mehrheit, die das Gesetz verabschiedete, obwohl Präsident Trump es scharf kritisiert hatte. Trotz solcher Beispiele gemeinsamer Mehrheiten ist die hier diagnostizierte Polarisierung aber durchaus eine ernstzunehmende Gefahr für das checks-and-balances System, da die parteiübergreifende Kooperation entscheidend ist, um sich auch in Konfrontationen mit dem Präsidenten durchsetzen zu können. Das ist jedoch schwierig, wenn die ideologischen Fronten so verhärtet sind. 

Die Ursachen für die hier diagnostizierte Polarisierung werden in der Politikwissenschaft kontrovers diskutiert. Für diesen Beitrag lohnt es sich die folgenden dominanten Erklärungsperspektiven mit Blick auf die Polarisierung im Kongress kurz nachzuzeichnen. Externe Erklärungsansätze begründen die Polarisierung im Kongress zum Beispiel mit der Spaltung der Wählerschaft. Dieser Ansatz geht von der intuitiven Überlegung aus, dass Abgeordnete, die stets ihre Wiederwahl im Sinn haben, besonders aufmerksam auf die ideologischen Charakteristika ihrer Wählerschaft reagieren. Wenn nun die Wählerschaft klar gespalten ist, dann macht es für die Abgeordneten Sinn, die mehrheitsfähige ideologische Position ihres Wahlkreises im Kongress zu spiegeln. Besonders stark wirkt dieses Argument im Kontext der republikanischen Hochburgen in den amerikanischen Südstaaten, wo die Republikaner gezielt mit der Southern Strategy auf die ideologisch homogene Wählerschaft im Süden der USA setzten (siehe hierzu die Hintergrundanalyse zur republikanischen Partei auf diesem Blog). Wenn wir diese Erklärung annehmen, dann wäre die einheitlich konservative ideologische Position der Republikaner in Abbildung 3 durch die besonders konservative Wählerschaft zu erklären.

Eine andere externer Erklärung konzentriert sich auf das sogenannte Gerrymandering, womit die Verschiebung von Wahlkreisgrenzen zum Vorteil derjenigen Partei, die in der entsprechenden Legislative des Bundesstaates die Mehrheit hat, gemeint ist. Durch dieses Machtinstrument der beiden Parteien entstehen leicht Wahlkreise, die mit großer Sicherheit entweder eine demokratisch oder eine republikanische Mehrheit aufweisen. Das kann die zuvor beschriebene Dynamik verstärken. Weitere erklärende Variablen, die in der Politikwissenschaft diskutiert werden konzentrieren sich zum Beispiel auf ökonomische Ungleichheit, auf einflussreiche Lobbygruppen oder auf die Umgestaltung der medialen Landschaft durch das Internet und durch soziale Medien. Einige interne Erklärungsvariablen wie etwa die Agenda-Kontrolle der Mehrheitspartei werden zwar auch diskutiert, können aber die starke Spaltung schlechter erklären, da sie zumeist auf institutionalisierte und somit recht statische Variablen setzen. Welche der hier kurz dargestellten Erklärungsansätze am ehesten überzeugen kann, sei zumindest für den Rahmen dieses Beitrags dahingestellt. Wenn wir uns der Präsidentschaftswahl in diesem Jahr zuwenden, dann ist insgesamt klar, dass wir auf ein politisches System schauen, das von starken ideologischen Fliehkräften gezeichnet ist. 

Mit Blick auf den Wahlkampf 2020 und der weiterhin scharf polarisierenden Rhetorik von Präsident Trump muss jedoch in jedem Fall angenommen werden, dass die Strategie der Republikaner fundamental darauf basieren wird, aus der Polarisierung insofern Profit zu schlagen, als dass sie ihr eine Mehrheit im Electoral College beschaffen und Trump somit eine zweite Amtszeit ermöglichen kann. Die Tatsache, dass aufgrund der Corona-Pandemie bis auf Weiteres keine öffentlichen Wahlkampfveranstaltungen stattfinden können, ist ein Vorteil für Trump, da es sich insbesondere in den Sozialen Medien leicht polarisieren lässt und Trump in dieser Vorwahlkampfphase seiner populistischen Wahlkampfrhetorik und – taktik treu bleibt. Im digitalen Raum wirken die zuvor erwähnten Echokammern zudem noch stärker und Feindbilder kursieren freier und leichter. In jedem Fall wird die in diesem Beitrag herausgearbeitete Polarisierung ein entscheidender Faktor bei der Bestimmung des nächsten Präsidenten der USA sein.