Blog-Beitrag XIX (26.10.20)

Foto: Jakob Wiedekind

Ihre Stimme zählt: Die Bedeutung von Frauen bei den US–Präsidentschaftswahlen

von Prof. Dr. Christiane Lemke und Jakob Wiedekind, M.A.: (Lesezeit: ca. 10 Minuten)

Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2016 haben 41 % der Frauen ihre Stimme für Donald Trump abgegeben. Besonders hoch war die Unterstützung unter den weißen Frauen sowie bei den religiös gebundenen Wählerinnen. Etwa acht von zehn weißen Evangelikalen Frauen wählten Trump. Für sie ist das Thema Abtreibung das zentrale (und oft singuläre) Thema bei der Wahlentscheidung. Umfragen deuten darauf hin, dass dies in der Wahl 2020 ähnlich sein wird, obwohl Joe Biden ebenfalls versucht, die religiös orientierten Wählerinnen für sich zu gewinnen, z. B. durch sehr breit angelegte Werbekampagnen in den christlichen Radiosendern. Auch unter den weißen Frauen in den amerikanischen Vorstädten hofft Donald Trump auf eine Mehrheit der Stimmen, wie bereits 2016. Da der Wahlausgang in mehreren Bundesstaaten sehr knapp sein wird, spielt die Frage, wie Frauen wählen werden, für den Ausgang der Wahl am 3. November eine entscheidende Rolle. 

Das Center for American Women and Politics an der Rutgers University verfolgt seit vielen Jahren das Wahlverhalten von Frauen in den USA. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen, die auf den Daten der Current Population Reports des U.S. Census Bureau basieren, haben ergeben, dass Frauen eine besonders wahlaktive Gruppe sind. Wie Darstellung 1 zeigt, haben Frauen seit 1980 eine konstant höhere Wahlbeteiligung aufzuweisen als Männer. Der prozentuale Anteil der Frauen, die von sich sagen tatsächlich wählen gegangen zu sein, an der Gesamtheit aller zur Wahl berechtigen Frauen ist also konstant höher, als in der Gruppe der männlichen Wähler. 

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Übersicht des CAWP.

Die Kernbotschaft von Darstellung 1 ist, dass bei der zu erwartenden hohen Wahlbeteiligung in diesem Wahljahr mit einer bedeutsamen Rolle der weiblichen Wählerschaft zu rechnen ist. Gerade in den umkämpften Bundesstaaten, in denen einige tausend Stimmen den Ausschlag für den Wahlausgang geben können, ist es daher von zentraler Bedeutung, wie hoch die Wahlbeteiligung von Frauen – auch unter Corona-Bedingungen - sein wird und wie Frauen wählen werden. Bereits seit längerem ist bekannt, dass Frauen eher für Kandidaten/innen der Democratic Party stimmen, als Männer. So entsteht eine gewisse Distanz im Wahlverhalten zwischen Männern und Frauen, die in Tabelle 1 für die letzten sieben Präsidentschaftswahl abgebildet wird. Im Kontext von US-Wahlen wird diese Distanz auch als Gender Gap beschrieben. Die Werte erreichen pro Wahl und Kategorie nicht immer 100%, weil einigen Stimmen typischerweise an wenig aussichtsreiche dritte Kandidaten/innen gehen, die in der Übersicht nicht berücksichtigt sind. Bei den Präsidentschaftswahlen 2016 betrug der Gender Gap 11 Prozent. 41 Prozent der Frauen aber immerhin 52 Prozent der Männer wählten für Trump. Es war der größte gemessene Abstand mit Blick auf den schlussendlichen Sieger der Präsidentschaftswahl seit den Wahlen 1996 wo der Gender Gap zugunsten von Bill Clinton ebenfalls 11 Prozent betrug. Männliche Wähler bevorzugten also in den letzten Präsidentschaftswahlen eher Donald Trump. Die Mehrheit der Frauen wählten 2016 dagegen Hillary Clinton und bevorzugten eher die demokratische Partei, wie sie es auch schon 2012 und 2008 für Obama taten.

Eine zentrale Wählerinnengruppe für Donald Trump waren 2016 sozialkonservativ eingestellte Frauen in den Vororten der großen Städte, die von Trumps Nominierung der konservativen Richterin für das Supreme Court, Amy Coney Barrett, sicher positiv angetan sind. Auch in diesem Wahljahr wirbt Trump besonders um deren Stimmen. In seinen Wahlkampfauftritten wendet er sich häufig und gern gezielt an die „suburban housewives“. In Michigan, einem der hart umkämpften Staaten im diesjährigen Wahlkampf, meinte Trump beispielsweise, die Frauen müssten ihn „lieben“, besonders diejenigen, die in den Vororten leben, weil er diese Vororte „gerettet“ habe. Damit nimmt er Bezug auf seine Maßnahme, Pläne von Städten und Gemeinde zu durchkreuzen, die durch gezielte Initiativen mehr Offenheit und Diversität in den Vorstädten umsetzen wollten. Diese Initiativen führten angeblich, so Trump, zu mehr Kriminalität in den Vororten; vor dem Hintergrund der weit verbreiteten Proteste und Rassenunruhen in diesem Wahljahr sollten so offenbar Ängste vor vermeintlichem Chaos und vor Gewalt geschürt werden. Sich als Heilsbringer für eigens propagierte Bedrohungsperzeptionen zu inszenieren war für Trump schon 2016 recht erfolgreich. 2020 scheint er diesem Ansatz getreu dem Motto „never change a running system“ weiter zu folgen. Allerdings ist fraglich, ob diese Strategie vom erhofften Erfolg gekrönt sein wird. 

Wie die Auswertung von Umfrageergebnissen von FiveThirtyEight ergaben, verliert Trump Unterstützung unter den weißen Wählerinnen in den Vororten. Während Trump im Jahr 2016 noch 47 Prozent der Stimmen in den Vororten gewann und nur 45 Prozent für Hillary Clinton stimmten, veränderte sich dies bei den Zwischenwahlen 2018, als 52 Prozent der Wähler/innen Kandidaten/innen der Demokraten favorisierten gegenüber 45 Prozent, die republikanische Kandidaten wählten. Dabei zeigte sich, dass das Bild der „suburban housewives“, das Trump zeichnet, heute wie damals nicht mehr zutrifft. Zum einen werden Vorstädte ethnisch noch heterogener. Zum anderen sind auch für viele Frauen in den Vororten Fragen der Gesundheitsversorgung und eines bezahlbaren Zugangs zu Bildung und Wohnen ein wichtiges Thema, bei dem sie allerdings den Demokraten mehr Kompetenz zuschreiben als den Republikanern. Interessant ist auch, dass Frauen bei dem äußerst polarisierten Thema der Einwanderung kritischer zur Politik der Trump-Administration eingestellt sind als Männer. Während die Auffassungen weißer republikanischer Frauen beim Thema der Mauer zu Mexiko weitgehend mit der der Männer übereinstimmt, zeigen sich bezüglich der Trennung der Kinder von ihren Eltern beim Versuch einer illegalen Einreise von Familien in den Umfragen deutliche Unterschiede. Nur 25 Prozent der republikanischen Frauen heißen diese Praxis gut, im Gegensatz zu 46 Prozent der Männer. Auch bezüglich eines weiteren, äußerst kontroversen Themas, der Rückführung von Eingewanderten ohne Papiere, zeigen sich deutliche Unterschiede. Männer befürworten bei der Deportation ein wesentlich restriktiveres Vorgehen als Frauen.

Warum wählen Männer mehrheitlich für Trump? Die Gründe für den deutlichen Abstand im Wahlverhalten werden seit einiger Zeit in der amerikanischen Forschung untersucht. Neben den issue-spezifischen Unterschieden ergibt sich danach ein grundlegenderes Muster: Während Frauen ihre Stimme häufiger auf Basis der Überlegung abgeben, was gut für das Land und ihre Gemeinde ist, entscheiden sich Männer eher entlang der Frage, ob die Wahlentscheidung ihnen selbst nützt, bzw. ob sie danach besser dastehen werden als zuvor. Männer neigen also zu eher individualistischen Beweggründen, wohingegen Frauen ihr Abstimmungsverhalten stärker an der Gemeinschaft ausrichten. Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, sondern das Resultat strategischer und politischer Kommunikation der beiden Parteien, dass insbesondere Männer eher republikanisch und Frauen eher demokratisch wählen.  Besonders groß ist der Abstand im Wahlverhalten zwischen weißen Männern einerseits und Frauen, die zu einer ethnischen Minderheit gehören, anderseits.  

In diesem Jahr zeigt die Auswertung von vorliegenden Umfragen einen nie da gewesenen Abstand der beiden Präsidentschaftskandidaten zugunsten von Joe Biden, wenn man die Wahlpräferenzen nach Geschlechterzugehörigkeit aufschlüsselt. Je nach Quelle der Umfragen liegt dieser Abstand zwischen 31 Prozentpunkten der weiblichen Wähler zugunsten von Biden (Washington Post/ABC News) und 9 Prozentpunkten (Economist/YouGov). Bereits bei den Zwischenwahlen 2018 zeigte sich, dass Frauen, jüngere Menschen und Wähler/innen der Minderheitengruppen sich weitaus häufiger an der Wahl beteiligten als früher und für eine klare Mehrheit für die Demokraten sorgten. Nach den ersten zwei Jahren von Trumps Präsidentschaft durfte dieser Rückschlag für die Republikaner im House of Representatives auch als backlash gegen Trumps kontroverse Präsidentschaft verstanden werden, der möglicherweise Signalwirkung für den Ausgang der Wahlen in diesem Jahr hat. Gerade (jüngere) Frauen hatten die Wahl als eine Anti-Trump-Wahl verstanden, sich als Kandidatinnen beworben und Wählerinnen mobilisiert. In der Folge war der Anteil von Frauen im Abgeordnetenhaus beispielsweise deutlich gestiegen. 

Bislang gibt es keine Hinweise, dass es den Republikanern gelungen wäre, über ihre Kernwählerschaft hinaus neue Wählerinnen unter den Frauen für sich zu begeistern. Im Gegenteil: die derzeitige Betroffenheit von der Corona-Pandemie und ihre konkreten Auswirkungen im Alltag sowie die große Sorge, im Fall eines Wahlsiegs von Donald Trump die Krankenversicherung zu verlieren, die durch Obamacare gewährleistet wurde, sprechen eher dafür, dass sich Frauen von Trump abwenden. Sie sind es, die weitaus häufiger als Männer die Pflege und Betreuung von älteren Angehörigen und der Kinder übernehmen und daher die Probleme der Gesundheitsversorgung unmittelbarer und oft deutlicher erleben als Männer. Wie Michelle Goldberg schreibt, ist die Pandemie ein Wendepunkt, an dem die Missachtung von Frauen, die Donald Trump seinerzeit im Wahlkampf 2016 so offensichtlich an den Tag gelegt hat, ihn nun schließlich doch noch einholt. Auch wenn es bei der diesjährigen Wahl aufgrund der erschwerten Bedingungen durch die Pandemie noch viele Unwägbarkeiten gibt, könnte es daher durchaus sein, dass es die Stimmen von Frauen sind, die den Ausschlag für einen Sieg von Joe Biden und Kamala Harris geben werden.