Gastbeitrag VI (26.06.20) von Dominic Nyhuis

Foto: Jakob Wiedekind

Joe Biden und die Wählerschaft der demokratischen Partei

Über viele Monate galt Joe Biden als der eindeutige Favorit um die diesjährige Präsidentschaftskandidatur der demokratischen Partei. Als erfahrener Senator aus Delaware (1973-2009) und beliebter Vizepräsident unter Obama schien Biden der natürliche Kandidat für die Präsidentschaftswahl. So rechneten viele Kommentatoren damit, dass er als moderater Kandidat im November Staaten gewinnen könne, die 2016 noch an Trump gingen.

Im Verlauf des Vorwahlkampfes konnte Biden diesem Favoritenstatus immer weniger gerecht werden. Zahlreiche schwache Wahlkampfauftritte ließen an der demokratischen Basis Zweifel an Bidens Fähigkeit wachsen, den Amtsinhaber Trump bei der Wahl im Herbst zu schlagen. Das mangelnde Vertrauen an Joe Biden wurde auf geradezu dramatische Weise bei der ersten Vorwahl der demokratischen Partei in Iowa sichtbar, bei der Biden lediglich einen abgeschlagenen vierten Platz unter den demokratischen Bewerbern belegen konnte. Nach weiteren Niederlagen bei den Vorwahlen in den Bundesstaaten New Hampshire (Platz 5) und Nevada (Platz 2) wurde schon spekuliert, dass Biden seine Kandidatur bald zurückziehen müsse.

Schon vor der ersten Vorwahl gab es deutliche Anzeichen für die Schwierigkeiten der Biden-Kampagne. Während der ehemalige Vizepräsident in den Umfragen noch vergleichsweise gut abschnitt, hatte Biden sichtlich Mühe, Spender für die eigene Kampagne zu motivieren. Abbildung 1 bietet eine Übersicht des relativen Spendenaufkommens der Kampagnen von Joe Biden, Bernie Sanders, Elizabeth Warren, Pete Buttigieg, Amy Klobuchar und Andrew Yang, welches die Kandidaten quartalsweise (seit der heißen Wahlkampfphase monatlich) bei der US-Bundeswahlkommission (Federal Election Commission) einreichen müssen. In der Übersicht fehlen Mike Bloomberg und Tom Steyer, die während des gesamten Vorwahlkampfes kaum Spenden anziehen konnten und die ihren Wahlkampf jeweils mit mehreren Hundert Millionen US-Dollar weitgehend aus eigener Tasche finanzierten. 

Der zunehmende Vertrauensverlust in die Biden-Kampagne bildet sich im Spendenaufkommen unmittelbar ab. Während Biden zu Beginn des Vorwahlkampfes mit seinen wichtigsten Kontrahenten noch ungefähr gleichauf lag, nahm sein Spendenanteil stetig ab. Im Januar und Februar 2020 gingen noch gerade 14 von je 100 gespendeten US-Dollar auf das Konto des ehemaligen Vizepräsidenten. Dass Biden in den Umfragen nicht ähnlich stark abgestürzt ist, deutet darauf hin, dass Biden bei zahlreichen Wählern als eine Art natürliche Rückfalloption gesehen wurde, nicht jedoch als Kandidat, der besonderen Enthusiasmus hervorruft.

Abbildung 1: Relatives Spendenvolumen der demokratischen Präsidentschaftskandidaten

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der offiziellen Finanzberichte an die Federal Election Commission.

Erst bei der vierten Vorwahl im Bundesstaat South Carolina gelang Biden die Trendwende. In der Folge konnte der Vizepräsident vom Ausscheiden der weiteren moderaten Bewerber profitieren, insbesondere durch Zugewinne der Wähler von Pete Buttigieg, Amy Klobuchar und Michael Bloomberg. Der Vorwahlkampf spitzte sich im März zusehends auf einen Zweikampf zwischen Biden und Sanders zu, den Biden durch den Rückzug von Sanders im April 2020 für sich entscheiden konnte. Dennoch war der Weg zur voraussichtlichen Kandidatur steiniger als viele Beobachter noch Anfang 2019 erwartet hätten. Nach der Schwäche in der zweiten Jahreshälfte von 2019 und den ersten Vorwahlen darf es schon fast als Überraschung gelten, dass Biden der Sieg im demokratischen Vorwahlkampf letztlich doch noch geglückt ist. Dennoch wird seine Kandidatur an der Parteibasis nach wie vor mit viel Skepsis gesehen und es ist eine offene Frage, ob es Biden gelingen kann, die Partei vor der Präsidentschaftswahl im Herbst hinter sich zu vereinen.

Im vorliegenden Beitrag wollen wir diese Frage zum Anlass nehmen, um uns mit den elektoralen Stärken und Schwächen von Joe Biden zu beschäftigen. Die Wählerschaft der demokratischen Partei ist sowohl ideologisch als auch soziodemographisch vergleichsweise heterogen und gerade für einen Kandidaten in allen 50 Bundesstaaten ist es eine große Herausforderung, ein Profil zu entwickeln, welches alle relevanten Wählerschichten mobilisieren kann.

Um uns den Stärken und Schwächen von Joe Biden an der Wählerbasis zu nähern, betrachten wir die Vorwahlergebnisse der demokratischen Partei auf Kreisebene (Counties). Dazu untersuchen wir die Vorwahlen zwischen dem 11. Februar (der ersten Vorwahl in Iowa) und dem 17. März 2020 – der vorletzten Wahl bevor der letzte verbliebene Herausforderer von Biden seine Kandidatur zurückzog. Für diesen Beitrag beschränken wir uns auf die Ergebnisse der Wahlen (Primaries). Wir schließen also die Ergebnisse der Bundesstaaten aus, die ihre Delegierten für den Nominierungsparteitag über sogenannte Versammlungen (Caucuses) bestimmen (Informationen über die Regeln zur Delegiertenauswahl bietet ein anderer Beitrag auf diesem Blog). Konkret fließen in die Auswertung die Ergebnisse der Bundesstaaten Alabama, Arizona, California, Colorado, Florida, Massachusetts, Maine, Minnesota, Mississippi, North Carolina, New Hampshire, Oklahoma, South Carolina, Tennessee, Texas, Utah, Virginia, Vermont und Washington ein. Insgesamt besteht der Datensatz aus 2,381 Kreisen aus 19 Bundesstaaten. Dabei werden lediglich Kreise berücksichtigt, in denen mindestens 100 gültige Stimmen für Bewerber der demokratischen Partei abgegeben wurden. 

In einem ersten Schritt vergleichen wir die Ergebnisse der Vorwahlen 2016 mit den Ergebnissen von 2020. Die Vorwahlen 2020 finden unter deutlich anderen Vorzeichen statt als 2016. Bei den diesjährigen Vorwahlen haben eine Vielzahl von Bewerbern ihren Hut in den Ring geworfen und ihre Kandidatur auch bis weit in den langen Vorwahlprozess aufrechterhalten. Anders 2016. Nicht nur hatten sich damals insgesamt weniger Kandidaten um die Nachfolge von Barack Obama beworben. Das ohnehin kleine Bewerberfeld hatte sich zu Beginn der eigentlichen Vorwahl auf drei Bewerber ausgedünnt, von denen sich lediglich Hillary Clinton und Bernie Sanders ernsthafte Chancen auf die Kandidatur ausrechnen konnten. 

Um die Wahlergebnisse von 2016 und 2020 sinnvoll vergleichen zu können, wurden die Wahlergebnisse der aussichtsreichen Kandidaten des linken Parteiflügels und die Wahlergebnisse des moderaten Parteiflügels zusammengefasst. Im linken Parteispektrum sind das Bernie Sanders, Elizabeth Warren und Andrew Yang. Unter diesen dreien ist Andrew Yang zwar weniger offensichtlich als Parteilinker zu charakterisieren, eine entsprechende Einordnung ist aufgrund seiner Unterstützung des universellen Grundeinkommens aber plausibel. Letztlich ist die Klassifikation von Yang eher unbedeutend, da er bei den Vorwahlen nur wenig erfolgreich war und deshalb keinen starken Einfluss auf die Auswertung hat. Auf der moderaten Seite wurden Joe Biden, Michael Bloomberg, Pete Buttigieg, Amy Klobuchar und Tom Steyer zusammengefasst. Insgesamt ist das Bild stark durch die Ergebnisse von Biden und Sanders getrieben, sowie in geringerem Maße durch Warren und Bloomberg. Folglich sähen die Ergebnisse ähnlich aus, wenn wir nur den jeweils wichtigsten Bewerber der beiden Parteiflügel betrachten würden.

Das Ergebnis des Vergleichs ist in Abbildung 2 dargestellt. Bei kleineren Abweichungen gibt es einen bemerkenswert starken Zusammenhang zwischen den Kreisen, die sich sowohl 2016 als auch 2020 für den linken Kandidaten entschieden haben und umgekehrt. Speziell kann ein gewisses Nord-Süd-Gefälle festgestellt werden, wobei die linken Kandidaten in den Südstaaten besonders schlecht abschneiden. Vermont ist für die Parteilinke sowohl 2016 als auch 2020 ein deutlicher Ausreißer, da Bernie Sanders den Bundesstaat seit vielen Jahren im US-Kongress vertritt. 

Abbildung 2: Vergleich der Vorwahlergebnisse in den Kreisen zwischen 2016 und 2020

Quelle: Eigene Darstellung.

Der starke Zusammenhang zwischen den Ergebnissen von 2016 und 2020 wirft die Frage auf, welche Merkmale die Kreise aufweisen, die sich systematisch eher für Kandidaten aus dem linken, bzw. aus dem moderaten Lager entscheiden. Zur Untersuchung dieser Frage wurden verschiedene Strukturmerkmale der Kreise erhoben und mit dem Vorwahlergebnis von Joe Biden verglichen. Dabei wurde auf offizielle Zensusdaten zurückgegriffen, konkret auf den American Community Survey (ACS), der ähnlich wie der deutsche Mikrozensus Gemeindemerkmale mithilfe von Zufallsbefragungen erhebt.

Zwei tragende Säulen der demokratischen Partei sind die schwarzen und hispanischen Bevölkerungsminderheiten, die im Regelfall mit großer Mehrheit für die demokratische Partei stimmen. Um den Zusammenhang zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen und der Wahlneigung für die demokratischen Parteiflügel zu betrachten, stellt Abbildung 3 das Wahlergebnis von Joe Biden in Bezug zum schwarzen (linkes Bild von Abbildung 3) und dem hispanischen Bevölkerungsanteil (rechtes Bild von Abbildung 3).

Auch in diesem Fall können überraschend klare Muster festgestellt werden. Während ein hoher schwarzer Bevölkerungsanteil eindeutig mit einem starken Wahlergebnis für Joe Biden einhergeht, besteht ein gegenteiliger Zusammenhang in den Kreisen mit einem hohen hispanischen Bevölkerungsanteil. Schwach war das Wahlergebnis von Biden beispielsweise in den Bundesstaaten California, Colorado und insbesondere in Texas. Tendenziell gegen diesen Trend laufen die Wahlergebnisse in den Kreisen von Florida, was sich vor allem durch zwei Faktoren begründet. Zum einen setzen sich die Hispanics in Florida anders zusammen als in den südlichen und westlichen US-Bundesstaaten. In Florida handelt es sich häufig um kubanische Migranten, die einer linken Wirtschaftspolitik skeptischer gegenüberstehen und deshalb auch vergleichsweise häufiger den Republikanern zuneigen. Zum anderen ist der Altersmedian in vielen Kreisen von Florida außergewöhnlich hoch. Die grundsätzlichen Zusammenhänge werden durch die wenigen Ausreißer jedoch nicht entkräftet. Kreise mit einem hohen schwarzen Bevölkerungsanteil haben entscheidend zum Erfolg von Joe Biden bei der Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur beigetragen – vor allem durch seine Verbindung zu Barack Obama und die Unterstützung durch prominente schwarze Politiker –, während der ehemalige Vizepräsident in den Kreisen mit einem hohen Anteil an Hispanics schlecht abgeschnitten hat.

Abbildung 3: Ethnische Zusammensetzung der Kreise und das Wahlergebnis von Joe Biden

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des American Community Surveys.

Bei der Auswertung von Daten auf der Aggregatebene stellt sich stets die Frage, welche Faktoren für die beobachteten Zusammenhänge ursächlich sind. Zumindest drei mögliche Erklärungen können hier unterschieden werden. Naheliegend scheint auf den ersten Blick, dass Kreise mit hohen Anteilen ethnischer Minderheiten eine besondere Wirtschaftsstruktur aufweisen. Eine zweite Möglichkeit sind Unterschiede in der Bevölkerungsstruktur. Drittens ist eine kulturelle Erklärung denkbar, bei der es Unterschiede zwischen den ethnischen Minderheiten mit Blick auf Einstellungen und politische Präferenzen gibt, die sich nicht auf strukturelle Merkmale zurückführen lassen. 

Zwar kann diese Frage ohne Rückgriff auf Individualdaten nicht abschließend beantwortet werden. Zumindest die wirtschaftlichen und sozialstrukturellen Erklärungen können aber in Ansätzen geprüft werden. Hierzu wurden fünf Merkmale ausgewählt und dem Wahlergebnis von Biden gegenübergestellt. Als Indikatoren für die Wirtschaftsstruktur in den Kreisen wurde das Median-Einkommen und der Bevölkerungsanteil unterhalb der Armutsgrenze ausgewählt. Als Indikatoren für die Sozialstruktur der Kreise werden die Bevölkerungsdichte, der Bevölkerungsanteil mit einem Hochschulabschluss sowie der Bevölkerungsanteil der über 65jährigen genutzt. Die entsprechenden Zusammenhänge sind in Abbildung 4 dargestellt.

Abbildung 4: Strukturmerkmale der Kreise und das Wahlergebnis von Joe Biden

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des American Community Surveys.

Für keines der betrachteten Merkmale kann ein ähnlich starker Zusammenhang mit dem Wahlergebnis von Joe Biden festgestellt werden wie zuvor. Für den Bevölkerungsanteil unterhalb der Armutsgrenze gilt gar, dass die Kreise mit besonders hohen Werten sowohl überdurchschnittlich starke auch als überdurchschnittliche schwache Wahlergebnisse für Biden aufweisen. Insgesamt deutet Abbildung 4 somit darauf hin, dass die zuvor beobachteten Zusammenhänge zwischen dem Anteil der Bevölkerungsminderheiten und dem Wahlergebnis von Biden sich weder auf wirtschaftliche Faktoren noch auf die Bevölkerungsstruktur zurückführen lassen. Stattdessen spricht vieles dafür, dass der ehemalige Vizepräsident bei der Vorwahl tatsächlich nur wenig Unterstützung durch Hispanics erfahren hat.

Mit Blick auf die Präsidentschaftswahl im Herbst ist es folglich entscheidend, ob es Biden gelingen kann, die Hispanics für seine Kandidatur zu begeistern. Dies gilt umso mehr, da die Hispanics mit einem Anteil von 13,3% mittlerweile die größte ethnische Minderheitengruppe unter den Wahlberechtigten darstellen (verglichen mit einem Anteil von 12,5% der schwarzen Minderheit). 

Im Zwei-Parteien-System der USA sind die Fronten zwischen den Wählern an vielen Stellen klar. Bestimmte Wählergruppen neigen eher der einen oder der anderen Partei zu. So unterstützen die Hispanics traditionell mehrheitlich die demokratische Partei, auch wenn die Zustimmungsraten unter den Hispanics nicht ähnlich hoch sind wie bei der schwarzen Bevölkerungsminderheit, was sich vor allem durch konservative Einstellungen vieler Hispanics zu sozialpolitischen Fragen erklärt. Dennoch scheint unwahrscheinlich, dass die Hispanics ihr Kreuz im Herbst mehrheitlich bei der republikanischen Partei machen. Aus solchen Beziehungen lässt sich aber keinesfalls eine verlässliche Stimmabgabe ableiten. Gerade bei der allgemein niedrigen Wahlbeteiligung in den USA ist es wahlentscheidend, ob es den Kandidaten gelingt, ihre Wähler vom Gang an die Wahlurne zu überzeugen. Für die ethnischen Minderheiten, die seltener von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, gilt das umso mehr. So war die geringe Mobilisierung der ethnischen Minderheiten ein zentraler Faktor für die Niederlage von Hillary Clinton bei der Präsidentschaftswahl 2016. Vor allem in den sogenannten „Swing States“, Bundesstaaten die elektoral nicht fest in der Hand der Demokraten oder Republikaner sind, kann die Teilnahme der Hispanics den Wahlausgang entscheidend beeinflussen, so etwa in Colorado (21.5 Prozent Hispanics), Florida (25.6 Prozent), Nevada (28.8 Prozent), North Carolina (9.4 Prozent) oder Virginia (9.3 Prozent). Selbst Texas, mit seiner stetig wachsenden Wählergruppe an Hispanics (39.4 Prozent), konnte in den vergangenen Jahren immer stärkere Wahlergebnisse für die Demokraten verzeichnen und ein Sieg der Demokraten liegt in Texas mittlerweile in greifbarer Nähe. Zuletzt wurde dies deutlich beim engen Wahlkampf um einen der beiden texanischen Senatssitze bei der Wahl 2018 zwischen dem republikanischen Amtsinhaber Ted Cruz (50.9 Prozent) und dem demokratischen Herausforderer Beto O’Rourke (48.3 Prozent). Ob Joe Biden allerdings der erste erfolgreiche Präsidentschaftskandidat der Demokraten in Texas seit Jimmy Carter 1976 wird, das darf auf Basis unserer Analyse mit Recht bezweifelt werden.


Biographischer Hinweis zum Gastautor:

Dominic Nyhuis ist DAAD Visiting Assistant Professor am Department of Political Science und am Center for European Studies an der University of North Carolina at Chapel Hill. Zuvor war er Akademischer Rat am Institut für Politikwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover. In seiner Forschung beschäftigt er sich aus vergleichender Perspektive mit Parteien, Parlamenten und der subnationalen Politik. In seinem jüngsten DFG-geförderten Forschungsprojekt „Repräsentation und Ungleichheit in der kommunalen Politik“ untersucht er die Muster der Politikgestaltung in deutschen Großstädten in Kooperation mit der LMU München. Weitere Informationen zum Projekt bietet https://www.localpolitics.gsi.uni-muenchen.de/index.html.