Gastbeitrag VII (14.09.20) von Dominic Nyhuis

Foto: Jakob Wiedekind

Das Wählen in Zeiten von Corona: Wie Donald Trump die Legitimität der US-Präsidentschaftswahl untergräbt

Die diesjährige US-Präsidentschaftswahl steht im Zeichen der Coronavirus-Pandemie. Für zahlreiche Wähler wird es im Herbst wahlentscheidend sein, wie sie das Krisenmanagement der Regierung wahrnehmen. Die im internationalen Vergleich außerordentlich hohen Ansteckungsraten und der massive Einbruch der Wirtschaftsleistung haben in den vergangenen Wochen zu einem zunehmend düsteren Ausblick auf die Wahlaussichten des Amtsinhabers geführt. Sein öffentliches Auftreten während der Krise hat Trump vermutlich noch zusätzlich geschadet. Gewohnt konfrontativ und unversöhnlich machte der Präsident von sich reden, während er das Ausmaß der Pandemie und dessen wirtschaftlichen Folgen häufig zu leugnen oder zu marginalisieren schien.

Doch nicht nur inhaltlich bestimmt das Virus die Präsidentschaftswahl. Auch die Durchführung der Wahl in Zeiten der Corona-Krise bedeutet eine enorme Herausforderung. Bereits während der Vorwahlen zur Kandidatenaufstellung traten diese Schwierigkeiten deutlich zu Tage. Nicht nur wurden die Vorwahltermine in zahlreichen US-Bundesstaaten verschoben, in vielen Fällen blieben Wahllokale sogar ganz geschlossen. Dabei erklärt die Sorge um die Gesundheit der Wähler und Wahlhelfer die Schließung der Wahllokale nur zum Teil. Für die Verwaltungen ist es in Zeiten der Corona-Krise zudem ein fast aussichtsloses Unterfangen, ausreichend Wahlhelfer für die reibungslose Durchführung der Wahl zu gewinnen.

Während es also gute Gründe für die Schließung von Wahllokalen gibt, so wurden bei den Vorwahlen doch besorgniserregende Muster sichtbar. In Milwaukee, im Bundesstaat Minnesota, waren beispielsweise deutlich mehr städtische Wahllokale von der Schließung betroffen als Wahllokale in ländlichen Regionen. Deshalb besteht die berechtigte Sorge, dass die Schließung von Wahllokalen zu einer Verzerrung des Wahlergebnisses führt. So könnte die Schließung von städtischen Wahllokalen weite Wege zu den verbliebenen Wahllokalen und langen Warteschlangen bedeuten, was viele Wähler von der Stimmabgabe abhalten mag – von den Gesundheitsrisiken langer Warteschlangen in Zeiten einer Pandemie ganz zu schweigen. Da urbane Wahlbezirke eher für die Demokraten stimmen, während ländliche Bezirke eher an die Republikaner gehen, liegt es nahe, dass die Schließung von städtischen Wahllokalen tendenziell den Demokraten schadet.

Während diese Frage bei den Vorwahlen noch nicht ausschlaggebend war, da die Entscheidung über die Präsidentschaftskandidaten zum Zeitpunkt der heraufziehenden sozialen Distanzierungsmaßnahmen Mitte März bereits weitgehend gefallen war, sind sie für die Präsidentschaftswahl im Herbst von herausragender Bedeutung. Aufgrund der traditionell niedrigen Wahlbeteiligung können schon kleine Effekte wahlentscheidend sein. Das gilt vor allem in den sogenannten Swing States, Bundesstaaten die mal für die Demokraten, mal für die Republikaner stimmen, sodass eine Stimmendifferenz von wenigen Prozentpunkten in diesen Bundesstaaten einen entscheidenden Einfluss auf die Stimmenmehrheit im Electoral College bedeuten kann.

Zwischen den Parteien ist deshalb ein teils heftig ausgetragener Streit über die Durchführung der Wahl in Zeiten der Corona-Krise entbrannt. Die Demokraten haben sich in diesem Streit für die allgemeine Briefwahl eingesetzt, was von den Republikanern weitgehend abgelehnt wird. So hat die Zusendung von Briefwahlunterlagen an alle Wähler durchaus das Potenzial, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Auch dies könnte das Wahlergebnis beeinflussen, wenn viele Wähler bei der allgemeinen Briefwahl von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, die sich sonst nicht an der Wahl beteiligt hätten.

Besonders unversöhnlich hat sich Donald Trump gegen die allgemeine Briefwahl ausgesprochen. Vielfach hat der Präsident behauptet, dass die Umstellung auf die allgemeine Briefwahl zu großflächigen Wahlfälschungen führen werde. So hat Trump zum Auftakt des Nominierungsparteitags der Republikaner schon einmal vorsorglich die Behauptung aufgestellt, dass er die Wahl nur verlieren könne, wenn die Wahl manipuliert würde. Dabei sind solche Äußerungen des Amtsinhabers durchaus nichts Neues. Bereits während der Präsidentschaftswahl 2016 hatte Trump häufig unterstellt, dass es bei der Wahl zu massenhaftem Wahlbetrug kommen werde. 

Aufgrund der Politisierung der Briefwahl ist die allgemeine Zusendung von Briefwahlunterlagen in den meisten Bundesstaaten inzwischen kaum noch realistisch – von der mittlerweile knappen Frist bis zur Wahl und dem somit auch zeitlich kaum noch zu leistenden Verwaltungsaufwand ganz zu schweigen. Dennoch haben die Gegenwehr des Präsidenten und seine Behauptungen über Wahlfälschungen bei der Briefwahl womöglich bedenkliche Folgen.

Zwei Szenarien liegen nahe. Zwar ist der allgemeine Versand von Briefwahlunterlagen inzwischen kaum noch denkbar, dennoch werden vermutlich zahlreiche Wähler aufgrund der Corona-Krise Briefwahlunterlagen anfordern, was erhebliche Probleme mit sich bringt. Erstens sind die Verwaltungen für diesen Ansturm kaum gerüstet. Während die allgemeine Briefwahl in einigen wenigen US-Bundesstaaten bereits praktiziert wird, ist die Briefwahl in den meisten Bundesstaaten nur auf Antrag möglich – und wird in einigen Fällen sogar ausgesprochen restriktiv gehandhabt. Aufgrund der politischen Aufladung der Briefwahl spricht wenig dafür, dass die Verwaltungen überall die dringend benötigte Unterstützung erhalten werden, um dem Ansturm auf die Briefwahlunterlagen gerecht zu werden. Im schlimmsten Fall geschehen deshalb Fehler bei der Versendung oder der Auszählung der beantragten Briefwahlunterlagen, die sonst – im Widerspruch zu den Aussagen des Präsidenten – eher selten passieren. Das ermöglicht es Trump, die Legitimität der Wahl im Falle einer Niederlage in Zweifel zu ziehen. Indem er bereits jetzt vor einem vermeintlichen Wahlbetrug warnt, sind die zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Durchführung einer Wahl in Zeiten der Pandemie für ihn eine dankbare und besorgniserregende Möglichkeit, das Vertrauen in die Legitimität des Wahlausgangs zu untergraben.

Das zweite Szenario ist nicht weniger bedenklich. Aufgrund der Positionierung des Präsidenten gegen die Briefwahl spricht einiges dafür, dass Demokraten im Herbst häufiger von der Briefwahl Gebrauch machen werden als Republikaner. Selbst wenn wir unterstellen, dass den überlasteten Verwaltungen bei der Auszählung keine Fehler unterlaufen, gibt es doch berechtigte Sorgen über eine parteipolitische Schlagseite der Briefwählerschaft. So ist der Anteil aufgrund von Formfehlern zurückgewiesener Stimmzettel bei der Briefwahl ungleich höher als bei der Urnenwahl (das gilt im Übrigen auch bei der Briefwahl in Deutschland). Zudem gilt in einigen US-Bundesstaaten die Regel, dass Briefwahlunterlagen von den Verwaltungen nach dem Wahltag nicht angenommen werden dürfen, selbst wenn sie rechtzeitig abgeschickt wurden (auch diese Regel gilt in Deutschland). Besonders perfide ist hierbei, dass die staatliche Post in den USA aktuell vor dem finanziellen Abgrund steht, sodass Briefe nur noch mit Verzögerung zugestellt werden. Ein Schelm, wer vermutet, dass die Republikaner momentan nur wenig Interesse daran haben, etwas an diesem Umstand zu ändern. Unterm Strich treibt die Demokraten deshalb die Sorge um, dass ihnen hier die entscheidenden Stimmen verloren gehen, um im Herbst das Weiße Haus zurückzuerobern. 

Eines aber scheint jetzt schon klar. Sofern nicht einer der beiden Bewerber mit haushohem Vorsprung die Wahl gewinnt, wird es lange keine Klarheit über den nächsten Präsidenten der USA geben. Mit großer Sicherheit sind langwierige Rechtsstreitigkeiten in einzelnen Bundesstaaten zu erwarten. Auch die Auszählung der Stimmen wird sich aufgrund der besonderen Situation verzögern. Trump wird dieses Vakuum nutzen, um weitere Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl zu säen. Selbst wenn er die Wahl letztlich verlieren sollte, dann wird er nicht von der Behauptung abrücken, dass er die Wahl allein aufgrund von massenhaftem Wahlbetrug verloren hat. Bei zahlreichen Wählern wird er dabei das ohnehin niedrige Vertrauen in die politischen Institutionen weiter zerstören und selbst nach einem möglichen Ende seiner Präsidentschaft weiter bleibenden Schaden an der Demokratie in den Vereinigten Staaten anrichten.


Biographischer Hinweis zum Gastautor:

Dominic Nyhuis ist DAAD Visiting Assistant Professor am Department of Political Science und am Center for European Studies an der University of North Carolina at Chapel Hill. Zuvor war er Akademischer Rat am Institut für Politikwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover. In seiner Forschung beschäftigt er sich aus vergleichender Perspektive mit Parteien, Parlamenten und der subnationalen Politik. In seinem jüngsten DFG-geförderten Forschungsprojekt „Repräsentation und Ungleichheit in der kommunalen Politik“ untersucht er die Muster der Politikgestaltung in deutschen Großstädten in Kooperation mit der LMU München. Weitere Informationen zum Projekt bietet https://www.localpolitics.gsi.uni-muenchen.de/index.html.