Trumps Chancen auf eine Wiederwahl im Zeichen der Corona-Pandemie
von Prof. Dr. Christiane Lemke und Jakob Wiedekind, M.A.:
Donald Trump sieht seine Wiederwahl im November gefährdet. Konnte er bislang auf die günstige wirtschaftliche Entwicklung und die niedrige Arbeitslosenquote in den USA verweisen, so stellt die Pandemie-Krise auch die US-Wirtschaft vor existentielle Herausforderungen. Seit einigen Wochen befinden sich die Börsenkurse auf Talfahrt; die Gewinne, die Anleger während der letzten zwei Jahre verzeichnen konnten, sind verpufft, mit gravierenden Folgen für breite Bevölkerungsschichten, da viele Arbeitgeber Anlagen auf dem Aktienmarkt als Altersversorgung für ihre Beschäftigen nutzen; dies betrifft nicht nur Gutverdienende, sondern auch Lehrer/innen, Krankenpfleger/innen und andere Beschäftigte in öffentlichen und privaten Einrichtungen. Einschneidend sind aber auch die Einkommensverluste, die kaum über die angekündigten Sofortzahlungen von 1.000 USD kompensiert werden können. Ähnlich wie in Europa haben viele Bundesstaaten rigorose „stay home“ oder „shelter in place“-Ausgangsbeschränkungen verordnet und die Bevölkerung aufgefordert, zuhause zu bleiben. Restaurants und Cafés, Schulen und Universitäten, Museen und Kultureinrichtungen sind vielerorts schon seit zwei Wochen geschlossen. Wie die New York Times in ihrer heutigen Ausgabe berichtet, sind davon mindestens 158 Millionen Menschen in 16 Bundesstaaten, neun Counties und drei Städte betroffen.
Hart getroffen sind auch Selbständige und kleine Betriebe, zeitlich befristete Beschäftigte sowie alle, die in diesen Einrichtungen gewöhnlich arbeiten. Der renommierte Ökonom und Trump-Kritiker Paul Krugman schätzt, dass gegenwärtig jede Woche mehrere Million Arbeitsplätze verloren gingen; auf dem Höhepunkt der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007-2009 waren dies 800,000 per Monat.
Ein kurzer Blick auf die internationale Ebene zeigt, dass sich die USA unter Trump auch im Kontext einer globalen Pandemie eindeutig von einer engagierten Führungsrolle entfernt haben. So entschied er unilateral und ohne Absprachen mit den Verbündeten einen Einreisestopp für alle Mitgliedsländer des Schengen-Abkommens. Transatlantische Kooperation und Kommunikation zur Bewältigung der Krise ist auf ein Minimum reduziert und Trumps Abneigung gegenüber internationalen Organisationen wie der WHO treten deutlich hervor. Die Krise offenbart ein Führungsversagen, dass sich durch die gesamte Amtszeit zieht und die innenpolitische wie auch die außenpolitische Dimension umfasst.
Derweil inszeniert sich Donald Trump in täglichen Pressekonferenzen und einer Flut von Tweets als oberster Krisenmanager. Er hat milliardenschwere Unterstützungsprogramme für die Wirtschaft angekündigt, die die Börsenkurse kurzfristig leicht beruhigt haben. Der entsprechende Gesetzesentwurf wird noch im Kongress diskutiert, könnte aber schon morgen verabschiedet werden. Trumps Selbstinszenierung hilft jedoch weder den um Unterstützung flehenden Gesundheitseinrichtungen, die einen Mangel an Schutzkleidung, Masken und Tests beklagen, noch den Bundesstaaten, die um die Bereitstellung einer Infrastruktur kämpfen. So haben zum Beispiel die republikanischen Gouverneure der Bundesstaaten Ohio, Maryland und Massachusetts früh um die entschlossene Unterstützung durch die Trump-Administration gebeten. Die Ängste in weiten Teilen der Bevölkerung vor dem wirtschaftlichen Ruin sind zudem real und unmittelbar, da es in den USA kaum soziale Absicherungssysteme gibt. Das sofort zur Verfügung gestellt Geld wird Trumps ohnehin niedrigen Zustimmungswerten nur kurzfristig helfen, da die wirtschaftliche Flaute die USA spätestens im Sommer mit voller Wucht treffen wird und auch die Missstände im löchrigen Gesundheitssystem klar offenlegen wird. Aktuell zeigt die Statistik der renommierten datenjournalistischen Webseite „Five Thirty Eight“, dass über 51% der amerikanischen Bevölkerung mit Trumps Arbeit unzufrieden sind. Rufe nach mehr staatlicher Hilfe in diesen schwierigen Zeiten, aber auch nach der Verbesserung der Krankenversorgung werden den Demokraten in den bevorstehenden Wahlkämpfen helfen und Trumps offensichtliches Führungsversagen wird nur den ganz treuen Wählern/innen im Süden und mittleren Westen entgehen. Das kann eigentlich nicht ausreichen, um entscheidende Swing-States wie Ohio oder Michigan im November bei der Präsidentschaftswahl für sich zu entscheiden.
Mit Blick auf die bevorstehende wirtschaftliche Katastrophe inklusive überwältigender Arbeitslosigkeit bricht Trumps letztes Standbein weg und ihm wird nur blanker Populismus und Selbstinszenierung bleiben. Da mit den bis auf Weiteres ausbleibenden Wahlkampfveranstaltungen eine klassische Bühne hierfür fehlt, werden seine Tweets und die Online-Präsenz in Anzahl und Schärfe sicher zunehmen. Dies wird aber halbwegs moderate Republikaner zusätzlich verschrecken. Wer weiß, vielleicht wird Joe Biden ja so etwas wie ein „kleiner FDR“, der die USA aus dem bedrückenden Erbe, welches die Trump Administration ganz sicher nicht nur wirtschaftlich, sondern auch innen- und außenpolitisch hinterlassen wird, herausführt. Abschließend ist anzunehmen, dass die Coronakrise und der Umgang mit ihr Trumps Chancen auf eine Wiederwahl nachhaltig schadet.