Machtwechsel im Weißen Haus – "The US is back!"
von Prof. Dr. Christiane Lemke und Jakob Wiedekind, M.A.: (Lesezeit: ca. 6 Minuten)
Nachdem die noch umstrittenen Bundesstaaten durch ihre Wahlverantwortlichen nunmehr die Wahlergebnisse zertifiziert und Joe Biden als Sieger benannt haben, hat Präsident Trump die Verwaltung angewiesen, die Übergabe der Amtsgeschäfte an Joe Biden und Kamala Harris vorzubereiten, ohne allerdings formell seine Wahlniederlage anzuerkennen. Damit sind die Mittel und Kapazitäten verfügbar, die für die Transition der Macht erforderlich und rechtlich vorgesehen sind. Die hartnäckige Weigerung Trumps, das eindeutige Ergebnis der Stimmenauszählung anzuerkennen und seine Versuche, über verschiedene Wege das Resultat zu ändern, hatte die USA an den Rand einer Verfassungskrise gebracht – eine Situation, die Beobachter/innen wie der renommierte Historiker und Spezialist für amerikanische Präsidentschaften, Michael Beschloss, als einzigartig in der Geschichte der Vereinigten Staaten bezeichnen. Die Behauptung, dass das Wahlergebnis auf Fälschung beruhe, hält Trump allerdings weiter aufrecht, obwohl mehr als 30 Klagen in einer Reihe von Bundesstaaten an mangelnden Beweisen und fadenscheiniger Argumentation scheiterten und auch die Gespräche mit Republikanischen Abgeordneten/innen und Senatoren/innen in den, bis zuletzt umkämpften Bundesstaaten, wie etwa Michigan, keinen Umschwung im Sinne Trumps brachten. Auch die befürchteten Gewaltauseinandersetzungen sind ausgeblieben. Zudem stellten immer mehr Republikaner/innen Trumps Behauptung von Wahlfälschungen in Frage. Der Stresstest für das Wahlsystem und für die Demokratie der USA ist also zunächst einmal insofern positiv ausgegangen, als dass es Trump nicht gelang, das Wahlergebnis zu seinen Gunsten zu verändern.
Der Machtwechsel stellt sich damit nach fast drei Wochen der Unsicherheit als klassischer Verwaltungsakt dar, der in den kommenden Wochen bis zur offiziellen Vereidigung von Joe Biden am 20. Januar 2021 erfolgen wird. Mit der Biden/Harris-Administration kehrt eine politische Normalität ins Weiße Haus zurück, die den teils chaotischen, teils aber auch eigenwillig-autokratischen Führungsstil beenden wird, der für Trumps Präsidentschaft charakteristisch war. Schon die ersten Entscheidungen des designierten Präsidenten Biden zeigen, wie wichtig Professionalität und der Wechsel zu einem soliden Arbeitsstil sind. Sowohl personell als auch institutionell sind grundlegende Veränderungen zur derzeitigen Administration zu erwarten. Anlass zur Hoffnung auf eine neue Normalität und Kontinuität bieten dabei auch Entscheidungen, die Europa und die Europäische Union betreffen. „Die Diplomatie ist zurück“, so kommentierte die designierte US-Botschafterin bei den UN, Linda Thomas-Greenfield, den Wechsel. Thomas-Greenfield ist eine erfahrene Diplomatin, die auf internationalem Parkett viel Erfahrung hat sammeln können und die die internationale Rolle der USA, so das Ziel von Biden, wieder aufwerten und Grundlage für ein neues Vertrauen schaffen soll. Biden hat außerdem vor, die Botschafterin bei den Vereinten Nationen aufzuwerten und wieder in einen Kabinettsrang zu erheben, wie dies bereits zu Zeiten Obamas der Fall war. Die darin zum Ausdruck kommende Wertschätzung der Internationalen Organisationen entspricht zudem Bidens Unterstützung multilateraler Zusammenarbeit und zentraler internationaler Organisationen, wie beispielsweise der Weltgesundheitsorganisation, die von Trump scharf kritisiert wurde und die von den USA in Mitten einer globalen Pandemie kein Geld mehr erhielt (vgl. Gastbeitrag V). Trump wollte, dass die USA ganz aus der WHO aussteigen – ein Schritt, der erst im Juli nächsten Jahres vollzogen und somit noch von Biden aufgehalten werden könnte.
Ein weiterer wichtiger Posten ist der des Außenministers. Hier hat Joe Biden mit Antony J. Blinken einen langjährigen Vertrauten und erfahrenen Außenpolitiker vorgesehen, der ein vehementer Verfechter von Bündnissystemen und multilateralen Verträgen ist. Da Blinken einige Zeit in Frankreich gelebt hat und zudem mit sicherheitspolitischen Fragen vertraut ist, wird sein Verständnis von sowie sein Interesse an Europa sicher hoch sein. Deutschland bezeichnete er zuletzt als den wichtigsten Verbündeten in Europa. Die Europäische Union und auch Deutschland werden hier also im Falle der Bestätigung durch den Senat einen kompetenten Gesprächspartner im State Department vorfinden. Die renommierte Ökonomin Janet Yellen, frühere Chefin der Notenbank Fed, soll laut Medienberichten das Finanzministerium übernehmen. Zum ersten Mal wird mit Alejandro Mayorkas auch ein Angehöriger der hispanischen Minderheit mit kubanischem Migrationshintergrund ein einflussreiches Amt ausüben. Er soll das Heimatschutzministerium übernehmen und wäre damit zuständig für das komplexe und umstrittene Thema der Migration und der Grenzsicherung. Avril Haines wird als erste Frau die Arbeit der US-Geheimdienste koordinieren. An den ersten personellen Entscheidungen wird bereits deutlich, dass die Biden/Harris-Regierung inhaltliche Schwerpunkte in der politischen Arbeit deutlich verschieben wird.
Aus europäischer Perspektive besonders interessant ist auch die Ernennung eines Sonderbeauftragten für die Klimapolitik. Diese Position soll der ehemalige Außenminister, Senator und Präsidentschaftskandidat 2004 (der nur knapp gegen G.W. Bush verlor), John Kerry, übernehmen. Die Entscheidung unterstreicht die Relevanz, die Biden dem Klima- und Umweltschutz in seiner Amtszeit zukommen lassen will. John Kerry ist nicht nur ein international erfahrener Politiker, der in seiner Amtszeit das Iran-Abkommen mitverhandelt sowie Israelisch-Palästinensische Friedensgespräche initiiert hat. Er ist vielmehr auch in der internationalen Klimapolitik erfahren und hat das Pariser Klimaabkommen 2015 für die USA unterzeichnet. Allerdings ist Kerry auch ein Befürworter der Kernenergie als „saubere“ Übergangstechnologie – eine Position, die vor allem in Deutschland wohl weniger Unterstützter/innen finden wird. An der Ernsthaftigkeit des im Wahlkampf immer wieder geäußerten Ziels, wieder in das Pariser Klimaabkommen zurückzukehren, dürften allerdings mit der Ernennung von Kerry kaum Zweifel bestehen.
Die Kabinettsmitglieder müssen noch im Senat bestätigt werden, was normalerweise reine Routine ist. Angesichts der inzwischen erbitterten Polarisierung zwischen den Parteien kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Kandidaten zurückgewiesen werden, insbesondere wenn die Republikaner die Mehrheit im Senat nach den beiden Stichwahlen in Georgia behalten sollten und noch Kandidaten/innen mit – aus ihrer Sicht – „sozialistischer“ Orientierung, wie Bernie Sanders oder Elizabeth Warren benannt werden. Allerdings haben bereits einige moderatere Republikaner/innen, wie Susan Collins und Mitt Romney, eine grundsätzliche Bereitschaft zur Unterstützung der Biden Nominierungen signalisiert.
Neben diesen Entscheidungen zum Führungspersonal der kommenden vier Jahre stehen auch institutionell weitreichende Änderungen bevor, die für das transatlantische Verhältnis relevant sind. Mit dem Wechsel im Weißen Haus werden routinemäßig jeweils auch mehrere Tausend leitende Mitarbeiter/innen von Behörden und Verwaltungen ausgewechselt, da die öffentliche Verwaltung sehr viel dynamischer ist als beispielsweise in Deutschland und weite Teile von der politischen Führung abhängen. Dieser Prozess der Rotation kann, so der Politikwissenschaftler Hugh Heclo, als „government of strangers“ bezeichnet werden. Politische und zivile Beschäftigte stehen oft in einem Spannungsverhältnis zueinander, da die zivilen Beschäftigten (civil service) für die Kontinuität der Verwaltung auf der Arbeitsebene stehen, politische Ernennungen aber meist kurzfristigere Perspektiven und Interessen vertreten. Die institutionellen Änderungen werden in verschiedener Hinsicht für die internationale und europäische Politik von Bedeutung sein. Zum einen werden die von Trump geförderten personellen und finanziellen Kürzungen des Außenministeriums revidiert werden, die auch durch Kündigungen aufgrund von politischem Druck für eine dünne Personaldecke sorgte. Unter Biden ist davon auszugehen, dass die diplomatischen Kanäle eine neue Vitalität erfahren, die für eine Zusammenarbeit in herausfordernden Zeiten elementar ist.
Das Außenministerium hat stets mit seinem „European Desk“ und anderen auf Europa und Russland spezialisierten Abteilungen zur Kontinuität des Wissens und der transatlantischen Kontakte beigetragen. Während der Trump-Administration blieben jedoch rund ein Drittel der Positionen im Außenministerium unbesetzt und häufige Wechsel waren üblich. So ist nun zu erwarten, dass mit größerer Kontinuität des Leitungspersonals auch eine Normalität zurückkehrt, in der einmal aufgebaute Beziehungen, etwa im transatlantischen Austausch, auch kontinuierlich genutzt und ausgebaut werden können. Schließlich können jetzt auch wichtige Behörden, wie die Umweltschutzbehörde (Environmental Protection Agency EPA) oder die Centers for Disease Control and Prevention (CDC), wieder mit Führungsspersonal besetzt werden, das die Anliegen der jeweiligen Behörde konstruktiv und kompetent vorantreibt, anstatt wichtige Aufgaben zu unterlaufen, oder sie umzudefinieren – eine Kritik, die in den letzten Jahren vor allem an der EPA immer wieder geäußert wurde, da sie, anstatt umweltschützende Maßnahmen zu stärken, vor allem die Interessen der Industrie in den Vordergrund gestellt und viele umweltpolitische Regulierungen schlicht aufgehoben hatte.
Kontinuität in der politischen Leitung bedeutet für die transatlantischen Beziehungen auch Erwartungsverlässlichkeit, da der häufige Wechsel des Führungspersonals während der Trump-Administration für Unsicherheit gesorgt und eine kontinuierliche Zusammenarbeit fast hatte unmöglich werden lassen. Insofern steht mit dem bevorstehenden Machtwechsel im Weißen Haus auch eine deutliche Verbesserung der transatlantischen Beziehungen in Aussicht, die aber auch von engagierten Europäischen Partnern abhängen wird, die den USA in wirtschafts- wie auch in sicherheitspolitischen Streitfragen entgegenkommen.