Blog-Beitrag XIII (17.07.20)

Foto: Jakob Wiedekind

Hispanics bei der US-Präsidentschaftswahl 2020 – Eine entscheidende Minderheit oder mehrere?

von Prof. Dr. Christiane Lemke, Dr. Dominic Nyhuis und Jakob Wiedekind, M.A.: (Lesezeit: ca. 10 Minuten)

Die US-amerikanische Wählerschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten zusehends bunter geworden. Immer häufiger ist es das Wahlverhalten der ethnischen Minderheiten, das den Ausgang von Wahlen entscheidend beeinflusst. Die Bedeutung der ethnischen Minderheiten wurde dieses Jahr eindrucksvoll durch die Vorwahlen der Demokraten unterstrichen, als die afro-amerikanischen Wähler in South Carolina den bereits weitgehend abgeschriebenen Wahlkampf von Joe Biden wiederbelebten. Inzwischen ist klar, dass Joe Biden Präsident Trump im November herausfordern wird. Ebenso ist klar, dass es für Joe Biden von fundamentaler Bedeutung sein wird, neben der breiten Unterstützung in der afro-amerikanischen Wählerschaft auch die inzwischen größte ethnische Minderheitengruppe in den USA von sich zu überzeugen: die Hispanics.

Laut einer Studie des Pew-Research-Centers aus dem Jahr 2017 lag der Anteil der hispanischen Bevölkerung in den USA 2016 schon bei 18%, was 58 Millionen Menschen entspricht, die sich primär auf die Bundesstaaten Kalifornien, Texas, Florida und Arizona verteilen. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahl noch wichtiger ist der Anteil der Hispanics an der US-Wählerschaft. In einer Anfang des Jahres veröffentlichten Studie zeigt das Pew-Research-Center, dass die Hispanics mit einem Anteil von 13% bei der Präsidentschaftswahl 2020 erstmalig die größte Minderheitengruppe sind und in einigen Bundesstaaten leicht das Zünglein an der Waage sein könnten. So gehören in New Mexico nicht weniger als 43% der Wahlberechtigten der hispanischen Minderheit an, in Kalifornien und Texas sind es 30%, in Arizona 24%, in Florida immerhin jeder fünfte Wähler. Gerade die Wähler in Florida und Arizona könnten im November wahlentscheidend sein. Durch das Winner-takes-all-Prinzip bei den US-Präsidentschaftswahlen gehen alle Stimmen eines Bundesstaates im Electoral College an den Kandidaten mit der Mehrheit der Wählerstimmen im Bundesstaat. Jüngste Meinungsumfragen räumen Biden eine klare Chance ein, beide Bundesstaaten für sich zu entscheiden, die 2016 noch an Trump gingen. 

Die wachsende Bedeutung der hispanischen Minderheit ist vor allem für die Demokraten eine positive Entwicklung. So bezeichnen sich 62% der registrierten hispanischen Wähler als demokratisch oder demokratisch-sympathisierend, während nur 34% den Republikanern zuneigen. Diese Zahlen täuschen allerdings leicht darüber hinweg, dass es sich bei den Hispanics nicht um eine einheitliche Wählergruppe handelt. Aufgrund unterschiedlicher persönlicher Hintergründe, die sich nicht zuletzt auf die sehr verschiedenen Herkunftsländer mit ihren divergenten historischen Entwicklungen zurückführen lassen, liegt die Vermutung von Unterschieden in den politischen Einstellungen der Hispanics nahe. Diese Unterschiede wollen wir in diesem Beitrag näher beleuchten. Dazu widmen wir uns einerseits dem Vergleich zwischen den Hispanics und den drei weiteren großen Ethnien in den USA (den Weißen, den Afro-Amerikanern und den Asiaten) und andererseits der Gegenüberstellung der vier größten Untergruppen der Hispanics, den Amerikanern mit mexikanischer, puerto-ricanischer, kubanischer oder süd- und mittelamerikanischer Herkunft. Als Datenbasis nutzen wir die Cooperative Congressional Election Survey (CCES) aus dem Jahr 2016. Um das breite Spektrum der politischen Einstellungen einzugrenzen, folgen wir dem Forschungsinstitut Gallup und betrachten drei als besonders relevant wahrgenommene Themen für die Präsidentschaftswahl: das Gesundheitswesen, die Terrorismusbekämpfung sowie die Einwanderungsthematik. Eingrenzend sei bemerkt, dass es noch keine vergleichbaren Daten zur Präsidentschaftswahl 2020 gibt und wir deshalb Daten aus dem Jahr 2016 betrachten. Es darf jedoch von einer gewissen Konsistenz der politischen Grundhaltungen ausgegangen werden, sodass die hier vorgetragenen Befunde indikativ für die politischen Einstellungen der hispanischen Wählerschaft sind.

Abbildung 1: Politische Einstellungen zum Gesundheitswesen

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der Daten der CCES 2016.

Abbildung 1 zeigt den Anteil der Befragten innerhalb der verschiedenen Gruppen, die den Affordable Care Act (Obamacare) abschaffen würden. Es wird deutlich, dass die kubanische Minderheit sichtbar negativere Einstellungen zu Obamacare hat als die übrigen hispanischen Untergruppen. Hier steht zu vermuten, dass Hispanics mit kubanischer Herkunft aufgrund der historischen Erfahrung mit dem Kommunismus im Land der staatlichen Regulierung im Gesundheitswesen kritischer gegenüberstehen. An dieser Stelle zeigen sich also deutliche Unterschiede in den politischen Einstellungen der Hispanics, die besonders die Amerikaner mit kubanischer Herkunft von den anderen hispanischen Gruppen unterscheiden. Dabei ist bezeichnend, dass der Anteil der amerikanischen Kubaner, die sich für die Abschaffung von Obamacare aussprechen, gleichauf mit dem weißen Bevölkerungsanteil liegt.

Abbildung 2: Politische Einstellungen zur Terrorismusbekämpfung 

 

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der Daten der CCES 2016

Diese Beobachtung setzt sich in der Frage der Terrorismusbekämpfung unmittelbar fort. Abbildung 2 zeigt den Anteil der Befragten, die eine Zerstörung von Terroristenlagern durch das Militär befürworten. Abbildung 2 zeigt sehr deutlich, dass sich die Amerikaner mit kubanischer Herkunft auch hier deutlich von den anderen Hispanics abheben und erneut eine auffällige Nähe zu der Position der Weißen haben. Die Auswertung zeigt ebenfalls, dass die Distanz der Bürger mit kubanischer Herkunft zu den Amerikanern mit mexikanischer, puerto-ricanischer oder süd- und mittelamerikanischer Herkunft noch sehr viel größer ist als bei der Frage nach Obamacare. Abermals passen die Kubaner nicht recht in das Einstellungsgefüge der Hispanics, wodurch die angenommene Heterogenität innerhalb dieser Gruppe deutlich wird.  

Die Einwanderungspolitik ist in vielerlei Hinsicht eine besonders sensible Thematik für die Hispanics, da die eigene Lebensrealität oftmals direkt oder indirekt davon betroffen ist. Im öffentlichen Diskurs werden insbesondere die Grenzkontrollen sowie der Umgang mit illegalen Einwanderern kontrovers diskutiert, während zahlreiche Vorurteile und Stigmata für viele Hispanics trauriger Alltag sind. Jüngst feierte Trump die 200. Meile des neu gebauten Grenzzauns in Arizona, während kurz zuvor der Supreme Court den sogenannten DREAMers Act bestätigte und somit eine liberalere Position in der Einwanderungspolitik stützte. Abbildung 3 betrachtet die komplexe Einwanderungsthematik sowohl hinsichtlich der Grenzsicherung über die Zustimmung zu mehr Patrouillen entlang der amerikanisch-mexikanischen Grenze, als auch hinsichtlich der Zustimmung zur Identifikation und Deportation von illegalen Einwanderern.

Abbildung 3: Politische Einstellungen zu Grenzpatrouillen und Deportationen

 

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der Daten der CCES 2016

Die Kernbotschaft von Abbildung 3 ist, dass wir in der Einwanderungsthematik ein besonders heterogenes Einstellungsgefüge der Hispanics feststellen können. Zugleich kann der Sonderstatus der Amerikaner mit kubanischer Herkunft innerhalb der hispanischen Oberkategorie nachdrücklich bestätigt werden. Die kubanischen Einstellungen sind eindeutig als fundamental unterschiedlich zu den Positionen der Amerikaner mit mexikanischer, puerto-ricanischer oder süd- und mittelamerikanischer Herkunft zu klassifizieren, wenn es um das Gesundheitswesen, die Terrorismusbekämpfung sowie um die Einwanderungspolitik geht. Dass mit den unterschiedlichen Herkunftsregionen der hispanischen Untergruppen unterschiedliche politische Einstellungen einhergehen, sehen wir an Abbildung 3 ganz deutlich. Hier wird klar, dass wir in einem für die Wahl als besonders relevant wahrgenommenen Politikfeld genauer auf die Hispanics schauen müssen, um ihre interne Heterogenität nicht zu unterschätzen. 

Ein kurzer Blick auf Florida als entscheidender Swing State scheint angebracht vor dem Hintergrund, wie stark die kubanische Minderheit in diesem Bundesstaat vertreten ist. Mit einem Bevölkerungsanteil von 7,4% sind die Amerikaner mit kubanischer Herkunft in Florida die größte hispanische Untergruppe vor den Bürgern mit puerto-ricanischer (5,4%) und mexikanischer Herkunft (3,5%). So darf vermutet werden, dass Bidens Kampf für Obamacare und für eine liberalere Haltung in der Einwanderungspolitik direkt mit den Präferenzen der größten ethnischen Minderheitengruppe in diesem wichtigen Swing State kollidiert. Umgekehrt ist Trumps harter und kontroverser Standpunkt in diesen Politikfeldern vermutlich abschreckend für die Bürger mit mexikanischer, puerto-ricanischer oder süd- und mittelamerikanischer Herkunft. Das Beispiel Florida unterstreicht, wie wichtig es ist, die Unterschiede zwischen den Hispanics mit Blick auf ihre möglichen Folgen für den Wahlausgang ernst zu nehmen. Ähnliches gilt für Arizona und Texas, in denen das Rennen ebenfalls knapp ausgehen könnte und wo die große Minderheit der Hispanics die entscheidenden Stimmen abgeben könnte.