Countdown – Amerika hat die Wahl
von Prof. Dr. Christiane Lemke und Jakob Wiedekind, M.A.: (Lesezeit: ca. 10 Minuten)
Wenn am Dienstag, dem 03. November, in den USA gewählt wird, stellen sich den Wählerinnen und Wählern zwei Kandidaten zur Wahl, die unterschiedlicher nicht sein können. In den wahlentscheidenden Themen verfolgen Donald Trump und Joe Biden gegensätzliche Konzepte; auch ihr Wahlkampf und ihre Persönlichkeit stehen in starkem Kontrast zueinander. Das durch die Corona-Pandemie geprägte Wahljahr 2020 zeigt auch in der letzten Phase einen erbitterten Kulturkampf, dessen Ausgang nicht zuletzt aufgrund der vielen neuen Bedingungen und Verfahrensweisen noch völlig offen ist.
Das in den 1990er Jahren eingeführte „early voting“, das den eigentlichen Wahltag entlasten und den Berufstätigen die Wahl erleichtern soll, die stets am Dienstag, einem Werktag, stattfindet, ist in allen Bundesstaaten mit Blick auf die Pandemie-Bedingungen nochmals ausgedehnt worden. Kurz vor dem Wahltermin hatten bereits 66 Millionen Menschen ihre Stimme abgegeben. Das sind mehr als die Hälfte aller Wähler/innen, die 2016 an die Wahlurne gingen. Besonders hoch ist die Wahlbeteiligung in den umkämpften Bundesstaaten. Wem diese sehr hohe Wahlbeteiligung schlussendlich nutzt, wird sich nach dem Wahltag zeigen. Allerdings fällt auf, dass besonders viele Wähler/innen, die als Demokraten registriert sind, früh wählen gingen. In fünf der umkämpften Staaten sind rund zwei Millionen mehr registrierte Demokraten wählen gegangen als Republikaner; in Pennsylvania wählten drei Mal mehr Demokraten als Republikaner, während das Verhältnis in North Carolina eher ausgeglichen erscheint. Florida ist besonders spannend. Die Tatsache, dass am 29.10. sowohl Präsident Trump als auch sein Herausforderer Wahlkampfveranstaltungen in diesem Bundesstaat kurz vor der Wahl abhielten, unterstützt die Annahme, dass Florida erneut besonders entscheidend für das Wahlergebnis sein wird. Basierend auf den Daten des Florida State Department bietet Darstellung 1 eine Übersicht zu den bereits abgegeben Stimmen und unterscheidet zwischen registrierten Demokraten, registrierten Republikanern und unabhängigen Wählern/innen. Vorweg sei erwähnt, dass eine Registrierung für die eine oder die andere Partei nicht automatisch eine Stimme für den Kandidaten der entsprechenden Partei bedeutet. Zudem wird zwischen Stimmen, die im Rahmen des Early Voting an der Wahlurne und solchen, die per Brief eingingen, unterschieden. Die Daten basieren auf dem Stand vom 29.10.2020.
Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Vote-by-Mail Request & Early Voting Statistics des Florida State Department.
Was an anderer Stelle auf diesem Blog bereits angesprochen wurde, wird in Darstellung 1 mit Blick auf Florida besonders deutlich: Wählen im Wahljahr 2020 sieht aufgrund der Corona-Pandemie anders aus als in vorherigen Wahlen. Early Voting in Florida erfreut sich besonderer Beliebtheit bei den Republikanern, während registrierte Demokraten deutlich stärker dazu neigen, per Brief ihre Stimme abzugeben. Summiert man die bereits abgegebenen Stimmen je Parteizugehörigkeit auf, zeigt sich zudem deutlich, dass im Vergleich zum republikanischen Lager deutlich mehr Stimmen registrierter Demokraten vor dem eigentlichen Wahltermin eingegangen sind. Der Vorsprung liegt aktuell bei etwa 200 Tausend Stimmen. Wahlforscher/innen rechnen allerdings damit, dass viele Republikaner erst am Wahltag wählen werden. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor für den Ausgang im wichtigen Bundesstaat Florida bleibt das tatsächliche Wahlverhalten der unabhängigen Wähler/innen, die ebenfalls eine gewisse Präferenz für die Briefwahl zu haben scheinen.
Drei Viertel der registrierten Wählerinnen und Wähler geben einer aktuellen Studie des Pew Research Center zufolge die Wirtschaftslage als das wichtigste Thema für ihre Wahlentscheidung an. Die Frage der Gesundheitspolitik steht ebenfalls oben auf der Liste und ist für 65 Prozent wahlentscheidend, gefolgt von der Besetzung des Supreme Courts (63 Prozent) und der Coronavirus-Pandemie (55 Prozent). Auffällig ist, dass die Präferenzen entlang der ideologischen Spaltung der Gesellschaft verlaufen: Trump-Wähler bezeichnen die Wirtschaftslage weitaus häufiger als wichtigsten Wahlgrund (84 Prozent) im Unterschied zu den Biden-Wählern (66 Prozent). Noch deutlicher ist die Diskrepanz bei der Corona-Pandemie ausgeprägt: Nur 24 Prozent der Trump-Unterstützer geben an, dass die Pandemie ein wichtiger Wahlgrund sei im Gegensatz zu 82 Prozent der Biden-Unterstützer. Die meisten Wähler und Wählerinnen werden zudem alle zur Wahl stehenden Ämter nach Parteilinie entscheiden; lediglich 4 Prozent beabsichtigen unterschiedlichen Kandidaten für die diversen zur Wahl stehenden Ämter auf Landes- und Bundesebene ihre Stimme zu geben.
Wie unterschiedlich die Auffassungen von Präsident Trump und seinem Herausforderer Joe Biden sind, zeigte sich zuletzt sehr klar in der zweiten TV-Debatte vor der Wahl. Anders als in der vorangegangenen Debatte konnten beide Kandidaten ihre Positionen (fast) ohne gegenseitige Unterbrechungen darlegen. Bezüglich der Coronavirus-Pandemie, die in diesem Jahr das alles bestimmende Thema ist, beschwor Donald Trump die Zuschauer/innen mehrfach mit ihm zu glauben, dass das Schlimmste der Pandemie überstanden und ein Ende der Coronakrise in Sicht sei, obwohl die Infektionszahlen in vielen Regionen der USA ähnlich wie in Europa wieder steigen. Allein 500,000 Neuinfektionen wurden in der letzten Woche in den USA gezählt und viele Regionen des Mittleren Westen zeigen die höchsten Werte seit Beginn der Pandemie an; täglich sterben rund 800 Personen an Covid-19. Immer wieder betont Trump dagegen in seinen Wahlkampfreden, dass die rasche Öffnung der Wirtschaft Priorität haben muss. Biden setzt dagegen, dass die Trump-Administration notwendige Maßnahmen versäumt habe, was dazu geführt hat, dass bislang 227 Tausend Tote aufgrund der Pandemie zu beklagen sind. Sein Ansatz stellt eine durch wissenschaftliche Erkenntnisse geleitete behutsame Öffnung der Gesellschaft in den Mittelpunkt und gibt dem Schutz der Bevölkerung Priorität bei der wirtschaftlichen Öffnung. Eng mit dem Thema der Pandemie verbunden prallen auch in der Gesundheitspolitik die Positionen der beiden Kandidaten aufeinander. Trump hat in seiner Amtszeit immer wieder bekräftigt, dass er den als Obamacare bekannt gewordenen Affordable Care Act (ACA) abschaffen werde und er unterstrich diese Position abermals in der letzten TV-Debatte vor der Wahl. Ein Gesetzentwurf zur Abschaffung des ACA, den die Trump-Administration 2017 in den Kongress eingebracht hatte, fand keine Mehrheit und selbst unter republikanischen Kongressmitgliedern blieb der Gesetzesentwurf umstritten. Ein neues Konzept ist seitdem nicht mehr vorgelegt worden. So bleibt Trump auch aktuell eine Antwort auf die Frage schuldig, welchen Plan er für diejenigen rund 20 Millionen Menschen verfolgt, die durch den Wegfall von Obamacare ihre Krankenversicherung verlieren würden, und dies mitten in der Pandemie.
Auch bei der Einwanderungspolitik gibt es grundsätzlich verschiedene Ansätze. Während Joe Biden den im Land lebenden undokumentierten Zuwanderer, wie z. B. die „Dreamers“, einen Zugang zur Einbürgerung schaffen möchte, hält Trump weiter an seiner einwanderungsablehnenden Position fest. Er bekräftigt immer wieder, Regelungen gegen die Einwanderung weiter zu verschärfen und harte Maßnahmen gegen die im Land lebenden Undokumentierten durchsetzen zu wollen, die nach seiner Auffassung ohnehin potentielle Verbrecher, Vergewaltiger und Mörder seien – eine Rhetorik, die wir bereits aus seinem Wahlkampf 2016 kennen.
Sehr klar positioniert sich Biden in der Klima- und Umweltpolitik indem er die Rückkehr in das Pariser Klimaschutzabkommen ankündigt und die staatliche Förderung von erneuerbaren Energien befürwortet. Gegen Trump gerichtet, der sich mehrfach für das Festhalten an den fossilen Energien wie Kohle und Öl ausgesprochen hat, fordert Biden, die Subventionen für diese Energien zugunsten der Solar- und Windenergie aufzugeben. Recht detailliert hat er in dem Parteiprogram von 2020 zudem dargelegt, wie diese Transformation zusätzliche Arbeitsplätze schaffen kann.
Auch an der Frage von sozialer Gerechtigkeit scheiden sich die Geister. Vor dem Hintergrund der durch massive Polizeigewalt ausgelösten Protestbewegungen und Demonstrationen in vielen amerikanischen Städten hat die Rassenfrage in diesem Wahljahr erneut an Bedeutung gewonnen. Während die Demokraten argumentieren, dass die Ungleichheit zwischen Minderheitengruppen und der weißen Bevölkerungsmehrheit aus strukturellem Rassismus resultiert, weisen die Republikaner dies kategorisch zurück. Die Forderungen von Bürgerrechtsgruppen, darunter etwa „Black Lives Matter“, werden als linksradikal, von Präsident Trump auch als anarchistisch abgewiesen, obwohl viele Studien zeigen, dass es insbesondere im Polizei- und Justizsystem immer noch rassistisch bedingte Vorurteile und Ungleichbehandlungen gibt. Nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels mit einem steigenden Anteil von Minderheitengruppen in der Bevölkerung wird das Thema „social justice“ die USA zweifellos auf weitere Jahre beschäftigen.
Das Parteiprogramm der Demokraten von 2020 und die Plattform der Republikaner (von 2016) weisen auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht deutliche Unterschiede auf. Gegenüber der protektionistisch geprägten Wirtschaftspolitik der Trump-Administration, die durch die Verhängung von Strafzöllen sowie die Aufkündigung von Freihandelsabkommen die einheimische Wirtschaft schützen will, ist das Konzept der Demokraten durch eine Politik der wirtschaftlichen Verflechtungen geprägt, wenngleich auch hier die einheimische Industrie im Zentrum steht. Der Wahlslogan „Build Back Better“ streicht dies deutlich heraus. Konkrete Vorschläge zur Förderung einheimischer Industrien schließen den Ausbau inländischer Lieferketten und staatliche Unterstützung für die erneuerbaren Energien ein. Zugleich befürworten die Demokraten den freien Handel, Multilateralismus und eine enge Kooperation mit Verbündeten und Handelspartnern in Europa, Nordamerika und dem Pazifik.
Auch in anderen Bereichen unterscheidet sich das Konzept der Demokraten deutlich von der Wirtschaftspolitik der Trump-Administration, so etwa wenn es um die Energiepolitik, den Verbraucherschutz und die Klima- und Umweltpolitik geht. Hier befürworten die Demokraten die Rückkehr zu Regulierungen auf Basis von Umweltstandards und den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur. Auch in der Steuerpolitik setzen die Demokraten andere Akzente. Das Tax Policy Center, ein in Washington angesiedelter politisch unabhängiger Think Tank, stellte fest, dass die Konzepte zur Steuerpolitik, die Donald Trump für den Wahlkampf 2020 vorgelegt hat, vage bleiben. Demgegenüber sind die Vorschläge von Joe Biden sehr detailliert und sehen unter anderem die Entlastung von Familien sowie die Erhöhung von Steuern für Besserverdienende vor. Zudem treten die Demokraten für eine stärkere Förderung der Mittelklasse-Familien, den Abbau von Ungleichheiten sowie eine finanzielle Besserstellung der Beschäftigten im Bereich von Pflege, Gesundheit, Bildung und Erziehung ein. Bei all diesen Themen wird klar, dass sich Joe Biden als Anti-These zu Trumps Deregulierungskurs in der Wirtschafts-, Umwelt und Sozialpolitik versteht.
Mit nur noch wenigen Tagen bis zur Wahl sind richtungsschwenkende Überraschungen immer unwahrscheinlicher. Offen bleibt allerdings die Frage, was passiert, wenn der Präsident im Fall einer Niederlage die Wahl nicht anerkennt. Hierzu werden in den USA bereits verschiedene Szenarien durchgespielt. Aufgrund der vielen Unwägbarkeiten und der veränderten Verfahren aufgrund der Pandemie ist offen, ob es bereits am Wahlabend ein Ergebnis geben wird. Eine längere Auszählung, Rechtsstreitigkeiten, und selbst ein Machtkampf konkurrierenden Elektoren sind nicht ausgeschlossen. Sicher ist nur dies: Wer immer diese Wahl gewinnt wird die Gesellschaftspolitik und auch die Welt in der einen oder anderen Richtung über Jahrzehnte hinweg prägen. Wir schauen also auf eine Schicksalswahl in den USA und werden die Ergebnisse auf diesem Blog weiter auswerten.