Die Präsidentschaftswahl 2020 im Zeichen der Corona-Pandemie: Ließe sie sich verschieben?
von Prof. Dr. Christiane Lemke und Jakob Wiedekind, M.A.:
Die Wahlen im November diesen Jahres stehen aufgrund der Corona-Pandemie vor fundamentalen Herausforderungen. Das wird schon in den Nachrichten über die Verschiebung von Vorwahl-Terminen und über gerichtlich ausgetragene Konflikte zur Durchführung von Vorwahlen sowie in Berichten von Klagen zahlreicher Wählerinnen und Wählern über Erschwernisse bei der Stimmabgabe und „vote suppression“ (vgl. den Gastbeitrag von Dominic Nyhuis vom 29.04. auf diesem Blog) deutlich. Dazu passt nun auch die Meldung, dass ein einflussreicher Berater im Weißen Haus, der Schwiegersohn des Präsidenten Jared Kushner, eine Verschiebung der Wahlen im November nicht ausschließen wollte. In einem Interview mit „Time Magazin“ wollte sich Kushner, der als Senior Advisor fungiert und nahezu uneingeschränktes Vertrauen des Präsidenten genießt, nicht eindeutig zur Frage des Wahltermins am 3. November äußern. Auf die Frage des Journalisten gab er zur Antwort, dass dies zu weit in der Zukunft läge und er sich weder in der einen noch in der anderen Richtung festlegen wolle, falls es eine zweite Welle der Infektionen gibt.
Befürchtungen, dass die Wahlen verschoben oder anderweitig manipuliert werden könnten, hatte bereits vorher der designierte demokratische Herausforderer Joe Biden geäußert. Trump hat diese Bedenken zwar als „ideologische Propaganda“ abgetan und auf einer Pressekonferenz als unbegründet zurückgewiesen, die jüngsten Äußerungen von Jared Kushner gaben den Spekulationen jedoch neuen Aufwind. Nicht zuletzt deshalb steht zumindest implizit die Frage im Raum, ob es überhaupt möglich wäre die Präsidentschaftswahl zu verschieben. Zusätzlich wäre aus Sicht der aktuellen Administration die folgende Frage zu stellen: Welchen Nutzen würde Donald Trump aus einer Verschiebung des Wahltermins ziehen? Auf diese Fragen wollen wir hier unter dem Eindruck einer gewissen Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Pandemie Antworten finden.
Für Präsident Trump und seine Chancen auf eine Wiederwahl ist die aktuell verheerende wirtschaftliche Lage der USA ein großes Problem. Die hohen Arbeitslosenzahlen betreffen auch Teile von Trumps Kernwählerschaft in umkämpften Bundesstaaten wie Michigan oder Ohio. Hier stimmten 2016 noch zahlreiche Amerikaner/innen, die sich von der Globalisierung zurückgelassen fühlten, unter dem Eindruck schlechter ökonomischer Perspektiven für den harten protektionistischen Kurs von Trump. Die aktuelle Entwicklung deutet nun jedoch klar darauf hin, dass Trump eine boomende Wirtschaft nicht erneut als Wahlkampfversprechen anführen kann. Einschätzungen von Ökonomen zufolge sind verschiedene Szenarien denkbar, die von einer tiefen, aber kürzeren Rezession bis hin zu einer länger andauernden Wirtschaftskrise reichen, je nach dem wie lange die Pandemie die Gesellschaft im Griff behält. Auch wenn klar ist, dass ein Post-Corona-Aufschwung bei Weitem nicht alle Probleme beseitigen könnte – insbesondere nicht das stark ansteigende Haushaltsdefizit –, so wären positivere wirtschaftliche Vorzeichen sicherlich der Popularität des jetzigen Präsidenten sehr zuträglich. Der Wahlkampf wäre dann nicht so sehr von der Notwendigkeit geprägt, defensiv die schlechte wirtschaftliche Entwicklung erklären zu müssen. Vielmehr könnte der Amtsinhaber mit einem offensiven Plan des Wiederaufbaus unter positiveren Vorzeichen ins Feld ziehen. So oder zumindest so ähnlich ließe sich ein mögliches Kalkül formulieren, das eine Verschiebung der Wahl für Präsident Trump verlockend klingen lässt. Aktuell zeigen die letzten nationalen Umfragen, dass Joe Biden mehr Zuspruch als Trump erhält, was auch in zahlreichen umkämpften Bundesstaaten der USA gilt.
Doch ist eine Verschiebung rechtlich überhaupt möglich und wenn ja, wer entscheidet darüber? Der Wahltermin am ersten Dienstag nach dem ersten Montag im November ist in einem Bundesgesetz geregelt und gilt seit 1845. Ihn zu verschieben erfordert daher eine Gesetzesänderung, die nur der Kongress beschließen könnte. Eine Verschiebung durch einen präsidentiellen Erlass (executive order) ist also rechtlich ausgeschlossen. Angesichts der Polarisierung im Kongress (siehe Blog-Beitrag VIII) ist eine überparteiliche Mehrheitsentscheidung für eine Verschiebung äußerst unwahrscheinlich. Aber selbst wenn wir den sehr unwahrscheinlichen Fall annehmen, dass der Wahltermin tatsächlich verschoben werden würde, lässt die Verfassung der USA nur einen geringen Spielraum für eine solche Verschiebung zu, denn dort wird festgelegt, dass der neue Kongress am 3. Januar eingesetzt werden muss und dass die Amtszeit des Präsidenten am Mittag des 20. Januars endet – beziehungsweise dass die Amtszeit eines Präsidenten nach vier Jahren zwingend endet. Diese konstitutionellen Säulen können nicht durch einfache Gesetzgebung verändert werden. Die neue Regierung muss im Januar 2021 feststehen. Daran wird kein Weg vorbeiführen.
Allerdings birgt eine zumindest denkbare Entscheidung im Kongress über die Verschiebung der Wahl für die Demokraten ein gewisses Dilemma: Stimmen sie einer Verschiebung zu, dann folgen sie gewissermaßen dem Druck des Präsidenten, den sie in der Wahl schlagen wollen, und untergraben möglicherweise die Legitimität des gesamten Wahlvorgangs. Lehnen sie eine Verschiebung ab, so könnten sie sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, sie gefährdeten die Gesundheit von Wählerinnen und Wählern nur für den eigenen politischen Vorteil. Dieses Dilemma lässt sich auch deshalb nicht ganz auflösen, weil alternative Möglichkeiten zur Durchführung der Wahl in den USA sehr kontrovers diskutiert werden.
Die aus europäischer Sicht eigentlich beste Variante, die Wahlen im Fall eines weiteren dramatischen Anstiegs von Corona-Neuinfektionen in Form von Briefwahlen durchzuführen, ist im amerikanischen Wahlsystem eher ungewöhnlich und politisch umstritten. Nur fünf von 50 Bundesstaaten haben bereits gänzlich auf Briefwahl umgestellt: Colorado, Hawaii, Oregon, Utah und Washington. In anderen Bundestaaten wie zum Beispiel Kalifornien oder Nebraska muss die Briefwahl extra und begründet beantragt werden. Allein in 17 Bundesstaaten kann die Briefwahl nur bei Vorliegen eines besonders triftigen Grundes beantragt werden, der im Konfliktfall zwischen Befürwortern und Gegnern dieses Vorgehens sicher streitbar wäre. Neben dieser Zersplitterung der Wahldurchführung sind Briefwahlen in den USA auch politisch umstritten. So hat Trump bei vorangegangen Wahlen bereits mehrfach ins Feld geführt, dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei; dabei standen Briefwahlen immer wieder im Fokus seiner Kritik. Zwar konnten diese Vorwürfe nicht bewiesen werden, aber sollte Trump die Wahlen verlieren, so steht zu befürchten, dass er ihr Ergebnis nicht anerkennen und rechtlich anfechten würde. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass Trump erfolgreich zwei vakante Sitze am Obersten Gerichtshof der USA mit Richtern besetzen konnte, die recht deutlich konservative und somit weitgehend republikanische Positionen vertreten. Die letzten Entscheidungen des Supreme Courts tragen durch diese neue konservative Mehrheit eine klare republikanische Handschrift. Nicht auszuschließen ist auch, dass Trumps teilweise radikalisierte Anhängerschaft durch diese Anschuldigungen so aufgewiegelt werden könnte, dass Unruhen entstehen. Hierfür könnten die Proteste gegen die Freiheitsbeschränkungen und die Bilder von schwer bewaffneten Demonstranten im Zuge der Corona-Pandemie ein Vorzeichen sein.
Der Wahlkampf 2020 wird mit harten Bandagen ausgetragen. Deshalb ist es durchaus denkbar, dass Gouverneure, die besonders loyal gegenüber Trump sind, im Zuge der Corona-Pandemie Notstandsmaßnahmen einsetzen, um die ohnehin teilweise schon recht hohen Hürden für die Wahlteilnahme auszubauen. Das macht schon vor dem Hintergrund Sinn, dass hohe Wahlbeteiligungen insbesondere von Minderheiten für Demokraten und nicht für Republikaner förderlich sind. Darauf wird in jedem Fall im weiteren Verlauf dieses Wahljahres zu achten sein.
Aktuelle Umfragen in entscheidenden Bundesstaaten wie Arizona, Florida und Virginia sehen Biden mit klarem Vorsprung vor Trump; diese Werte werden sich sicher im Verlauf des Jahres immer wieder ändern, sind aber ein klares Warnzeichen für die Trump-Kampagne. Auch bei den ebenfalls am 03. November stattfindenden Senatswahlen wird mit einem sehr harten Wahlkampf gerechnet, und, falls sich der negative Eindruck über den Präsidenten im Management der Coronakrise weiter fortsetzt, könnten die Demokraten sogar die Mehrheit der Senatssitze gewinnen. 35 Sitze stehen zur Wahl – ein Drittel der Senatorinnen und Senatoren; davon müssen die Republikaner 23 verteidigen; besonders eng wird es für sie in North Carolina, Arizona, Colorado und Maine werden, so der jüngste „Cook Report“, der die Wahrscheinlichkeit eines Machtwechsels im US-Senat mit 50 zu 50 bewertet.
Vor diesem Hintergrund dienen die Spekulationen über eine Verschiebung des Wahltermins vor allem auch dem Anliegen, die Demokraten zu verunsichern. Für den Fall einer verlorenen Wahl könnte zudem „fraud“, also Wahlschwindel, im Zeichen von Corona von Trump ins Feld geführt werden. Um nun unsere eingangs gestellten Fragen in aller Kürze zu beantworten: Eine Verschiebung der Wahl ist rechtlich prekär und politisch schwierig, wenngleich sie innerhalb eines gewissen zeitlichen Rahmens zumindest nicht völlig undenkbar ist. Über die Motivation von Präsident Trump solche Gedankenspiele anzustrengen kann nur spekuliert werden. Sie liegt wohl in einer möglicherweise besseren wirtschaftlichen Perspektive und der damit in Verbindung stehenden Verbesserung der eigenen Position im Wahlkampf begründet. Ebenso könnte es schlicht der Ablenkung von inhaltlich für ihn schwierigen Wahlkampfthemen wie dem Krisenmanagement in Zeiten der Corona-Pandemie dienen. In jedem Fall bleibt die Durchführung der Wahlen im November ein heikles Thema und wir werden die Entwicklungen weiter für Sie genau beobachten und analysieren.