Gastbeitrag V (28.05.20) von Natalia Dalmer

Foto: Jakob Wiedekind

Die COVID-19-Pandemie, Donald Trump und die Legitimität der Weltgesundheitsorganisation

Die COVID-19-Pandemie stellt die internationale Staatengemeinschaft vor enorme und beispiellose Herausforderungen. In ihrem Umgang mit der durch das SARS-CoV-2 Virus verursachten Atemwegserkrankung können einzelne Regierungen unterschiedlich viel Erfolg vorweisen. Dies scheint zum einen den unterschiedlichen politischen Entscheidungen und verschiedener nationaler Koordinierungsplänen geschuldet, und zum anderen der Tatsache, dass die nationalen Sozial- und Gesundheitssysteme ungleich gut gerüstet sind für die Bewältigung unerwarteter und umfassender Probleme. In der Tat scheint das Virus auf eine eklatante Weise politische Fehlentscheidungen und die Schwächen der Gesundheitssysteme zu offenbaren. Bemerkenswert ist die Entwicklung der Infektionskrankheit in den USA. Laut Zahlen der Johns-Hopkins-Universität haben sich diese in ersten Monaten des neuen Jahres zum weltweit führenden Land bei den Infizierten- und Todeszahlen entwickelt. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Beitrags haben die USA die 1,6 Millionen überschritten, während die Todeszahlen sich langsam den 100,000 nähern. Damit sind zumindest nach offiziellen Berechnungen knapp ein Drittel aller COVID-19-Verstorbenen US-Amerikaner.

Schaubild 1: Neue COVID-19 Fälle in den USA, im Vereinigten Königreich und in Deutschland (lineare Darstellung)

 

Quelle: Financial Times

Vor diesem Hintergrund bekommt die „America First“- Ideologie eine nahezu zynische Färbung. In der Tat ist der rasante Anstieg der Zahlen auch den Versäumnissen der derzeitigen US-Regierung zuzuschreiben. Diese rangierte von der fehlenden Ausarbeitung einer nationalen Strategie für den Umgang mit der Pandemie, der verspäteten und unzureichenden Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PPE) für Ärzte und Krankenschwestern und -pfleger, sowie dem Drängen auf die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Aktivitäten in allen Bundesstaaten bei gleichzeitig ungenügend durchgeführten Tests.

Der US-Präsident, der sich selbst gern als „Cheerleader“ der Nation sieht, spielte die Lage am Anfang des Jahres noch herunter. So prognostizierte er im Februar, als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits den globalen Gesundheitsnotstand ausgerufen hatte, dass das Virus durch das wärmere Wetter ab April „wie ein Wunder“ verschwinden würde. Zudem behauptete er wiederholt fälschlicherweise, dass die Infektionszahlen zurückgingen - „Coronavirus numbers are looking MUCH better, going down almost everywhere. Big progress being made!“ – und sinnierte an anderer Stelle laut über die Einnahme von Desinfektionsmitteln sowie die Einschleusung von UV-Licht in den menschlichen Körper als Behandlungs- und Präventionsmaßnahmen.

Donald Trumps inkohärente Reaktion auf die Pandemie steht auch im Zusammenhang mit der anstehenden Präsidentschaftswahl im November dieses Jahres und den Herausforderungen für seinen Wahlkampf. Seine schlechten Umfragewerte, sogar in einer jüngeren Fox News Umfrage, scheinen seine Abwehrhaltung und die Suche nach der Schuld bei anderen, sei es bei seinem Vorgänger Barack Obama, der chinesischen Regierung und der Weltgesundheitsorganisation, zu befeuern. Seine Kritik an der WHO ist dabei besonders folgenschwer, weil sie nicht nur die weltweite Koordination der Strategien gegen die Pandemie erschwert, sondern auch negative Folgen für andere Programme der Organisation haben wird, wie z.B. zur Bekämpfung anderer Infektionskrankheiten. Mitten in der Krise scheinen die Schritte deshalb nicht nur schlecht getimed, sondern auch unverständlich und tragisch zu sein, denn sie werden die bestehenden Probleme der Organisation voraussichtlich noch weiter verschärfen.

Die Funktionsfähigkeit der WHO, wie auch anderer internationaler Organisationen, ist abhängig von der Fürsprache und finanziellen Unterstützung ihrer Mitglieder. Gleichzeitig ist Trumps ablehnende Haltung gegenüber internationalen Organisationen nichts Neues. Tatsächlich geht seine „America First“- Ideologie einher mit der Ablehnung multilateraler Institutionen. So überrascht auch seine ablehnende Haltung gegenüber der Weltgesundheitsorganisation nicht. Seine öffentlichen Stellungnahmen und Handlungen scheinen das Ziel zu haben, ihre Autorität zu untergraben und das Vertrauen in ihren Nutzen zu schmälern. 

In den Internationalen Beziehungen sind Fragen rund um die Legitimität von internationalen Organisationen (IOs) wichtig, vor allem, weil sie ihre Existenzgrundlage darstellt. Werden IOs nicht als legitim erachtet, können sie nicht effektiv agieren und werden bedeutungslos. Der Verlust ihrer Legitimität kann abhängen von dem Fehlverhalten einer internationalen Organisation selbst und vorhergehenden Delegitimierungsstrategien seitens ihrer Skeptiker und Gegner. Delegitimierungsschritte beinhalten u.a. Kritik, Rückhalt der Beiträge, Protest, und sogar den Austritt aus der Organisation (siehe hierzu z.B. die Arbeiten von Jonas Tallberg, Karin Bäckstrand und Jan Aart Scholte, 2018). Letztere sind erfolgreich, wenn sie Anklang in der Zivilgesellschaft und bei Staats-und Regierungsträgern finden. Mit anderen Worten, Akteure, die delegitimierende Strategien verfolgen, haben immer ein Publikum vor Augen, das sie adressieren und auf dessen Bestätigung sie angewiesen sind. 

Nachdem Trump die WHO Ende Februar noch lobte – das Virus sei unter Kontrolle und die US-Amerikanischen Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) und die Weltgesundheitsorganisation hätten „sehr hart und sehr klug“ gearbeitet –, verschärfte sich sein Ton schnell. So behauptete er am 07. April, dass die WHO Schuld an der Verbreitung des Virus trifft und dass sie zu China-zentrisch sei. Am 14. April kündigte er bis auf Weiteres einen Zahlungsstopp an die Organisation an und am 18. Mai konkretisierte er sein Vorhaben in einem Brief an den Generalsekretär der WHO, für einen Monat alle Zahlungen an die Organisation einzustellen und bis dahin substantielle Reformen von ihr zu fordern. In seinem Brief droht er auch mit dem Austritt der USA. Diese Drohung passt in das Muster der Ablehnung internationaler Organisationen, denn bereits 2017 waren die USA aus der Kultur- und Bildungsorganisation der Vereinten Nationen, UNESCO, ausgetreten. In dem auf seinem Twitter Account veröffentlichten Schreiben steht, dass

„[…] if the World Health Organization does not commit to major substantive improvements within the next 30 days, I will make my temporary freeze of United States funding to the World Health Organization permanent and reconsider our membership in the organization. I cannot allow American taxpayer dollars to continue to finance an organization that, in its present state, is so clearly not serving America’s interests.“

Bereits Ende April berichtete die Washington Post, dass das State Department unter Mike Pompeo Pläne vorgelegt hat, WHO-Mittel an andere Organisationen umzuleiten. Kritiker mahnen, dass dies zu einer Fragmentierung in dem Umgang mit der COVID-19-Pandemie führen würde. Für die WHO würde dies nicht nur signifikante Einbußen bei den freiwilligen Beiträgen bedeuten, die Organisation würde auch 15% ihres festen Jahresbudgets verlieren.

Schaubild 2: Die größten Beitragszahler der WHO

Quelle: Statista

Sowohl der UN Generalsekretär als auch der Leiter der WHO kritisierten die Entscheidung von Trump. António Guterres mahnte, dass die Weltgesundheitsorganisation unterstützt werden müsse, dass sie unverzichtbar sei im globalen Kampf gegen das Coronavirus und dass jetzt nicht die Zeit sei, Ressourcen an die WHO oder andere humanitäre Organisationen im Kampf gegen das Virus zu reduzieren (ebd.). Der Leiter der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus selbst forderte auf, das Virus nicht zu politisieren. „If you don't want many more body bags, then you refrain from politicizing it [the Coronavirus].“

Auch bei der internationalen Staatengemeinschaft stoßen Trumps Haltung und Handlungen auf Kritik. Der deutsche Außenminister, Heiko Maas, teilte mit, dass „die WHO […] eine unverzichtbare Rolle in dieser Pandemie [spielt]. Wir müssen sie jetzt stärken, unterstützen und sie dann für die Zukunft noch besser als bisher aufstellen." Die von Maas und dem französischen Außenminister Jean-Yves Le Drian ins Leben gerufene Allianz für Multilateralismus veröffentlichte eine Stellungnahme, in der sich Außenminister und Außenministerinnen aus 54 Ländern für die Weltgesundheitsorganisation aussprechen:

„Wir unterstützen uneingeschränkt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als führende Instanz bei der Reaktion auf diese Krise der globalen öffentlichen Gesundheit sowie die Anstrengungen der Vereinten Nationen insgesamt, der Weltbankgruppe und anderer internationaler und regionaler Organisationen, die abgestimmt, gemeinsam und systematisch auf die weiterreichenden sozioökonomischen Folgen der Krise reagieren.“

Auch viele Staats- und Regierungschefs unterstützen die Weltgesundheitsorganisation als koordinierende Instanz während der Pandemie. So sprach sich Angela Merkel bei einem G7 Treffen im April für die WHO aus. Ebenso ließ Boris Johnson verlauten, dass das Vereinigte Königreich den globalen Kampf der WHO gegen das Coronavirus unterstütze: „our position is that the UK has no plans to stop funding the WHO, which has an important role to play in leading the global health response. Coronavirus is a global challenge and it’s essential that countries work together to tackle this shared threat.”

Trump dürften die internationalen Stimmen allerdings weniger interessieren als seine Wählerschaft. Angesichts der bevorstehenden Wahlen liegt die Vermutung nahe, dass Trumps Kritik an der WHO auch innenpolitische Gründe hat. Wichtig für die Absichten des US-Präsidenten ist das innenpolitische Meinungsbild. Hier scheint sich die Fürsprache für die WHO anhand der Parteizugehörigkeit zu spalten. Laut einer Umfrage des Pew Research Centers geben 62% der Demokraten und demokratisch-tendierenden Unabhängigen der Organisation eine gute bis sehr gute Note in dem Umgang mit der Pandemie, während dies nur 28% der Republikaner tun.

Schaubild 3: Die Einstellung der US-Amerikaner zur WHO

Viele Unterstützer der WHO bemühen sich um Gehör beim Präsidenten. So berichtet CNN, dass mehr als 1.000 Organisationen, Privatpersonen und Experten weltweit, unter ihnen auch viele US-Amerikaner, einen offenen Brief an die Administration verfasst haben, in dem sie den Präsidenten bitten, die globale Gesundheitsarchitektur durch die Zahlung der Beiträge zu stärken. Auch viele Experten melden sich zu Wort mit Verweisen auf die faktischen Unstimmigkeiten in Trumps Aussagen. So reagierte die medizinische Fachzeitschrift The Lancet auf Falschaussagen in Trumps jüngstem Brief an den WHO Direktor.

Auf der anderen Seite, und nicht überraschend, findet sein Vorgehen unter vielen republikanischen Mitgliedern des Kongresses Rückhalt. In einem Brief an den Präsidenten unterstützten 17 republikanische Senatoren dessen Strategie und befürworten die Aussetzung der Zahlungen. Der Senatsausschuss für Heimatschutz kündigte Mitte April an, eine umfassende Untersuchung zum Virus-Ursprung und der Rolle der WHO durchzuführen. Dazu forderte der Vorsitzende Ron Johnson (rep. Senator für Wisconsin) den Leiter der WHO auf, Informationen "regarding the WHO's failed and delayed response to the coronavirus ahead of an anticipated Congressional hearing" an den Ausschuss zu übermitteln.

Kritik an der WHO ist nicht gänzlich unbegründet. Die Organisation gilt auch unter ihren Befürwortern als reformbedürftig. Nach ihrer Gründung 1948 hat sie immer mehr Aufgaben übernommen und heute liegt eines ihrer größeren Probleme in den zu weit gestreuten Prioritäten. Wie Kelley Lee, Professorin für Gesundheitswesen an der Simon-Fraser-Universität in British Columbia, verdeutlicht, „[the WHO is] trying to be everything to everyone […] Priority setting has always been a problem, and it’s been an ongoing effort to reform the organization to be better at priority setting.“ Das Problem wird zudem durch die Finanzierungsstruktur der Organisation verstärkt. Sie ist neben den festen Zahlungen auf hohe freiwillige Beiträge angewiesen. Diese kommen von den WHO-Mitgliedern und zahlreichen privaten Akteuren, wie der Bill und Melinda Gates-Stiftung oder dem Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline. Die freiwilligen Beiträge haben einen starken Einfluss auf die Agenda der WHO und schaffen eine Schieflage in den Prioritäten der Organisation, weil sie zweckgebunden, also bestimmten Programmen und Projekten zugewiesen sind. So haben die stärksten Beitragszahler den größten Einfluss auf die Arbeit der Organisation – oftmals zugunsten von Projekten die schnelle Erfolge vorweisen können. Langwierigere Projekte werden dadurch benachteiligt und die Planungssicherheit der Organisation insgesamt verringert.  

Der von Trump oft angeführte Vorwurf der Parteilichkeit ist ebenfalls nicht ganz von der Hand zu weisen. Allerdings ist die Lage komplizierter, als seine Äußerungen den Anschein machen. Es stimmt, dass die WHO langsam auf das Virus reagierte, das Vorgehen der chinesischen Regierung in einem positiven Licht darstellte, während letztere scheinbar einiges vertuschte und Erkenntnisse der taiwanesischen Behörden ignorierte. Dahinter steht der Konflikt zwischen China und Taiwan um die „Ein-China-Politik“ und die Sonderstellung, die Taiwan im Rahmen der WHO eingeräumt wurde. Weil die WHO allerdings keine Autonomie hat – von manchen wird sie als „zahnloser Tiger“ beschrieben –, ist sie bei der Bereitstellung von Information auf das Wohlwollen ihrer Mitglieder angewiesen. Deshalb hält sie sich in der Regel mit kritischen Äußerungen zurück. Ihr Generalsekretär ist auch immer ein Diplomat, der mit einer politischen Außenwelt interagiert. Sein Verhalten gegenüber China dient so auch dem Zweck an Informationen zu gelangen und der Organisation dadurch zu ermöglichen die Krankheit zu studieren und auf die Pandemie adäquat reagieren zu können. 

Trumps Position gegenüber der WHO zeugt von seiner Ablehnung internationaler Organisationen und von einem Unverständnis über die Organisation und ihrer Probleme. So ist vor allem die Sinnhaftigkeit seiner Forderung nach Reformen in Zeiten der Pandemie fragwürdig und stellt für die sowieso schon strapazierte Organisation eine weitere Belastungsprobe zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt dar. International zeichnet sich eher der Konsens nach einer unabhängigen Untersuchung und Reform der Organisation nach dem Ende der Pandemie ab, mit dem Ziel diese zu stärken und unabhängiger zu machen. Statt dem Rückhalt von Mitteln, bedarf es vor allem einer Reform ihrer Finanzierungsstruktur. Sollten sich die USA tatsächlich aus der WHO zurückziehen, bleibt diese Aufgabe den anderen 193 Mitgliedsstaaten überlassen. Die USA verlören so auch Mitsprache in und Einfluss auf die zukünftigen Reformen der WHO.


Biographischer Hinweis zur Gastautorin:

Natalia Dalmer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Sie hat an der LUH und der Cardiff University Soziologie, Sozialpsychologie und Politikwissenschaft studiert. 2019 schloss sie ihre Promotion zum Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und dessen Arbeit im Bereich Friedensbildung (environmental peacebuilding) ab, wobei sie sich auf Prozesse der Wissensgenese konzentrierte. Sie forscht zu Themen rund um organisationalen Wandel, inter-organisationaler Kooperation, und Wissensprozessen in den internationalen Beziehungen.